Haftstrafen im Captagon-Drogenprozess

Nach Urteil gegen Heidenheimer bleiben Fragen zu den Drahtziehern offen

Mit empfindlichen Haftstrafen endete am Montag der bisher größte Captagon-Drogenprozess Deutschlands am Ellwanger Landgericht. Offen bleibt die Frage, ob die Männer Teil eines noch größeren Drogennetzwerkes waren.

Hätte das Bundeskriminalamt (BKA) nicht einen Wink von einem Mittelsmann in Saudi-Arabien bekommen, wäre voriges Jahr wohl ein Drogengeschäft für Millionen von Euro über die Bühne gegangen – hergestellt in Regensburg unter Beteiligung eines 52-jährigen Heidenheimers. Tausende von Captagon-Tabletten, eine im Nahen Osten beliebte Partydroge, wären versteckt in großen, bereits präparierten Hydraulik-Zylindern per Luftfracht von Regensburg über Wien nach Saudi-Arabien transportiert worden.

17 Tage lang hatten die Beamten die Drogenküche observiert, Telefongespräche abgehört und ihre Schlüsse gezogen. Deshalb war ihnen klar, dass in der Regensburger Werkstatt seit Tagen eine Tablettierungsmaschine lief. Wie sie später herausstelle, konnte diese 38.000 Captagon-Tabletten pro Stunde ausspucken. Eine Tablette wird laut Auskunft von Staatsanwalt Jürgen Herrmann in Saudi-Arabien mit umgerechnet 20 Euro gehandelt.

Zugriff der BKA-Beamten am 3. Juli in Regensburg

Aus Angst, der Drogenversand könnte in Kürze starten, entschlossen sich die Ermittler, die Falle zuschnappen zu lassen. Die Beamten stürmten am 3. Juli die Autowerkstatt und verhafteten die beiden Männer, die jetzt vor dem Amtsgericht verurteilt wurden: Den 52-jährigen Heidenheimer sowie den 31-jährigen Regensburger, dessen Vater der Besitzer der Werkstatt ist und als der Drahtzieher des gesamten Drogengeschäfts gilt. Dieser Drogenboss war jedoch am Abend des 3. Juli nicht in der Werkstatt und gilt seitdem als untergetaucht. Dass er sich in seiner Heimat befindet, ist nur eine Vermutung, die Fahndung läuft weiterhin.

Heidenheimer Angeklagte bittet um Gnade

Mit gesenkten Blicken nahmen die beiden Angeklagten das Urteil der zweiten Großen Strafkammer des Ellwanger Landgerichts unter Vorsitz von Richter Jochen Fleischer entgegen. Der 52-jährige Heidenheimer muss für acht Jahre und neun Monate in Haft, der 31-jährige Sohn des mutmaßlichen Drahtziehers für vier Jahre. Zuvor hatten sich beide Männer entschuldigt: „Ich bereue es sehr, ich bitte das Gericht mir Gnade zu geben“, sagte der 52-Jährige und verwies auf seine beiden behinderten Kinder und den im Rollstuhl sitzenden Vater. Er bat das Gericht um Hilfe, wieder in sein normales Leben zurückkehren zu können. Zuletzt hatte er sich als Kurierfahrer selbstständig gemacht, zuvor war er bei einer Firma im Ostalbkreis ebenfalls als Fahrer tätig, in seiner syrischen Heimat hatte er nach eigenen Angaben das Goldschmiedehandwerk gelernt. Ähnlich reuig äußerte sich der 31-jährige Regensburger: Er habe aus Respekt vor dem Vater so gehandelt. Seit Anfang Juli befinden sich beide Männer in Untersuchungshaft.

Nie dagewesene Drogenmenge in einem Prozess in Ellwangen

Um welche Dimension es sich bei den Drogengeschäften gehandelt haben muss, das machte Richter Fleischer in seiner Urteilsbegründung deutlich. „Wir hatten es hier am Landgericht noch nie mit einer so großen Menge oder Wirkstoffmenge zu tun.“ Deshalb sei es klar, dass sich das Urteil eher am oberen Strafrahmen bewege. 300 Kilogramm Drogen hatten die Ermittler insgesamt sichergestellt in der Werkstatt und in der Wohnung des Inhabers in Bruck in der Oberpfalz. Zudem kiloweise Material zur Bearbeitung und Streckung.

Die Verteidiger hatten viel mildere Urteile gefordert: Für den Heidenheimer zwei Jahre und zehn Monate Haft und für den jüngeren Regensburger eine Strafe, die auf Bewährung ausgesetzt werden kann. Staatsanwalt Jürgen Herrmann hatte in seinem Plädoyer für den älteren Heidenheimer Angeklagten elf Jahre Haft und für den jüngeren Angeklagten sechs Jahre Haft gefordert.

Heidenheimer Angeklagte war "Mittäter auf Augenhöhe"

Richter Jochen Fleischer

„Wir gehen nicht davon aus, dass er ein Mittäter auf Augenhöhe war“, sagte Richter Fleischer über den Heidenheimer Angeklagten. Dennoch sei für das Gericht seine Mittäterschaft erwiesen. Von Beihilfe könne keine Rede sein. Die abgehörten Telefongespräche würden den engen Austausch des Heidenheimers mit dem Regensburger Werkstattbesitzer belegen. Auch von Kundenkontakt könne man ausgehen. Zudem habe der Heidenheimer ein Haus in Plüderhausen erworben. In diesem hätte er all die Stoffe in großen Mengen gelagert, die man für die Herstellung, Streckung und Tablettierung des Captagons benötige wie Koffein, Zellulose, Paracetamol, Magnesium, Laktose.

Der Heidenheimer sei zudem in den Vertrieb involviert gewesen, sagte der Richter. Er habe zum Beispiel Ende März, Anfang April Hydraulikzylinder bestellt. Dies sei jedoch nur eine Scheinbestellung gewesen, um an eine Rechnung zu kommen. Diese sei im Anschluss so gearbeitet worden, um sie für die Fracht nach Saudi-Arabien zu verwenden. „Welch ein Zufall“, sagte der Richter ironisch. Und nicht zuletzt sei es in der Kommunikation mit dem Regensburger auch immer wieder um höhere Geldbeträge gegangen, die überwiesen werden sollten. Nehme man all diese Indizien zusammen, spreche das für die Mittäterschaft des Heidenheimers. Hingegen nur als Handlanger eingestuft und deshalb wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde der 31-jährige Sohn. Dass dieser jedoch von den Machenschaften des Vaters nichts gewusst haben will, glaubte das Gericht nicht.

Nur die Spitze eines größeren Drogenkartells?

Trotz des tagelangen Verfahrens konnten im Prozess einige Fragen nicht geklärt werden. Offen ist, wie auch vonseiten der Staatsanwaltschaft bestätigt wird, nicht nur der Verbleib des mutmaßlichen Drahtziehers, sondern auch, ob es sich hierbei nur um die Spitze des Eisbergs gehandelt haben könnte. Gab es schon früher Drogenlieferungen nach Saudi-Arabien oder in den Nahen Osten, von denen nichts bekannt ist? Ist die Regensburger Drogenküche nur ein Baustein in einem größeren Drogenkartell rund um das Captagon. Als gesichert gilt laut Staatsanwaltschaft, dass Syrien weltweit der größte Captagon-Lieferant ist und den Nahen Osten mit der Partydroge flutet.

Ebenfalls nicht gänzlich geklärt werden konnte, in welchem Verhältnis der Heidenheimer mit den Regensburgern steht oder wie der Kontakt zustande gekommen ist. War er wirklich nur ein zufälliger Kunde der Autowerkstatt? Oder kannten sich die Parteien schon länger. Und wer hatte die Verbindungen nach Saudi-Arabien?

Offen ist zudem die Frage, warum die Tabletten über den Umweg in Deutschland hergestellt wurden und woher das Ursprungsmaterial, das Amphetamin, stammte. Aus Reisebewegungen des Heidenheimers und des Autowerkstattbesitzers liegt nahe, dass der Stoff aus den Niederlanden kam. In Saudi-Arabien die Drogen zu verarbeiten, wäre wohl zu gefährlich gewesen. Dort steht auf Drogenbesitz die Todesstrafe.

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