Den Auftritt des 1. FC Heidenheim beim FC Bayern München muss man unter verschiedenen Aspekten analysieren. Wie so oft im Leben gilt: Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß. Die dazwischenliegenden Graustufen sind es oft, auf die es ankommt.
Zum einen: Es war wahrlich nicht schön anzusehen, wie defensiv der FCH vor allem in der ersten Halbzeit agierte und erst recht nicht versuchte, attraktiven Fußball zu spielen. In einer sehr defensiven 5-3-2-Formation sollten die Räume eng gemacht werden – die meiste Zeit des ersten Durchgangs befanden sich die Feldspieler beider Mannschaften in der Hälfte des FCH. Bayern-Torhüter Daniel Peretz war beschäftigungslos und musste sich ab und an mit Dehnübungen selbst warmhalten.
Allerdings hatte Heidenheims Trainer Frank Schmidt diese taktische Ausrichtung angekündigt. Und zwar deswegen, weil die Heidenheimer nach zuvor zwölf Gegentoren in drei Spielen einen teilweise verunsicherten Eindruck hinterlassen hatten, was in einer desaströsen Vorstellung in der zweiten Halbzeit gegen Eintracht Frankfurt mündete.
Hinten dicht machen als Vorgabe beim deutschen Rekordmeister: Behält man dies im Hinterkopf, löste der FCH die Aufgabe größtenteils durchaus gut. Dies sieht man auch an den Noten, die die HZ-Sportredaktion und auch HZ-Leser vergaben. Waren gegen Frankfurt noch von 4,0 und 4,5 die Regel, wurden die Heidenheimer Spieler dieses Mal um etwa eine Schulnote besser bewertet.
Die Arbeit gegen den Ball stand im Fokus. Dabei sagt Kapitän Patrick Mainka: „Wir sind eigentlich eine sehr risikofreudige Mannschaft, die sehr hoch anläuft, die sehr früh und hoch presst – vor allem zu Hause.“ Sein Trainer wählte aber bewusst einen anderen Ansatz. Der in der ersten Halbzeit fast aufging. Denn das erste Gegentor fiel ausgerechnet nach einem Standard. „Es ärgert mich, dass das einzige Tor in der ersten Halbzeit nach einem Eckball fällt“, sagte Frank Schmidt. „Wenn der FC Bayern eine seiner Chancen, die er spielerisch ausspielt, nutzt, dann müssen wir das hinnehmen. Das 0:1 dürfe in der Form aber nicht passieren.“
Auch Mainka erklärte zum Kopfballtor seines Gegenspielers, Dayot Upamecano: „Da haben sie uns gut analysiert. Wir sind Mann zu Mann zugeteilt, die wollen diesen Block spielen.“ Mainka kam zu Fall und konnte so dem Torschützen nicht folgen. „Ich komme durch diesen Knäuel nicht durch und er ist frei fünf Meter vor dem Tor. Ein Raum, der komplett blank ist. Das tut richtig weh.“
Der 1. FC Heidenheim lässt sich durch Rückschlag nicht verunsichern
Es war dann doch ein relativ frühes 0:1. Die Frage war: Lässt sich der FCH, wie in Spielen zuvor, durch so einen Rückschlag erneut verunsichern? Dieses Mal nicht, die Heidenheimer standen im Anschluss relativ gut. Wobei sie dann Probleme bekamen, wenn die Münchner durch schnelle Pässe miteinander kombinierten, sodass die Gäste dem nicht immer folgen konnten.
Wichtig: Zur Pause lag der FCH nur 0:1 zurück. Und genau dies strich Schmidt heraus. „Es stand nicht 2:0 oder 3:0. Es war keine Vorentscheidung da. Im Fußball geht’s manchmal verrückt zu“, weiß der FCH-Coach aus eigener Erfahrung. Und so machten die nach einem Fehler der Bayern durch Mathias Honsak tatsächlich das 1:1. Dieses Mal war Heidenheim die Mannschaft, die nach einem Seitenwechsel zuschlug. „Plötzlich wurde es ein wilderes Spiel, was uns zugutekommt. Dieses Jagen des Gegners“, erklärte Kapitän Patrick Mainka.
Allerdings hielt der Ausgleich nicht lange. „Uns darf dann aber nicht passieren, dass wir sechs Minuten später das 1:2 bekommen“, betonte Frank Schmidt zum Treffer von Jamal Musiala.
Eingewechselte Spieler sorgen beim 1. FC Heidenheim für frischen Schwung
Aber: Der FCH kam nach dem 1:3 durch einen abgefälschten Schuss Leon Goretzka noch einmal heran und stellte auf 2:3. Erfreulich aus Heidenheimer Sicht: Endlich konnten wieder von der Bank gekommene Spieler für frischen Wind sorgen, was zuletzt nicht mehr so der Fall gewesen war. Leo Scienza bediente den ebenfalls eingewechselten Niklas Dorsch, der seinen zweiten Saisontreffer markierte. Ganz nebenbei stellte Sirlord Conteh (kam in der 65. Minute) einen neuen Geschwindigkeitsrekord in der Bundesliga auf (37 km/h).
Und: Es war das zweite Tor der Gäste nach dem zweiten Torschuss der Partie. „Zumindest waren wir heute sehr effektiv“, sagte der FCH-Coach halb im Scherz. Die Effektivität war in den vergangenen Wochen ein großes Manko beim FCH. Zudem durchaus beachtlich: In bis dato fünf Heimspielen hatten die Bayern gerade einmal ein Gegentor kassiert. Gegen Heidenheim waren es deren zwei.
Der FC Bayern geriet durch das 3:2 gegen den Außenseiter aus Heidenheim ins Wanken, jedenfalls kurz. Denn in der ersten Minute der Nachspielzeit erzielte Jamal Musiala den 4:2-Endstand, nachdem der FCH in einen Konter gelaufen war. Schmidt kritisierte dies wie folgt: „Wir haben es nicht geschafft, Dynamik und Emotionen in der Phase reinzubringen und verlieren stattdessen den Ball und laufen in einen Konter.“
Niklas Dorsch streicht Positives heraus
Zwei Tore, mal wieder, hat der FCH bei den Bayern gemacht. „Wenn man es schafft hier und auch in Leverkusen (2:5-Niederlage) zwei Tore zu schießen, dann ist mit Sicherheit auch etwas drin. Aber dann muss man auch mit allem, was man hat, verteidigen“, erklärte Torschütze Niklas Dorsch. Und Patrick Mainka sagte im Hinblick auf die vier Gegentore und die offensivere Ausrichtung zum in der Schlussphase: „Das haben wir hier am Ende probiert, das ist uns aber auch um die Ohren geflogen.“ Der Heidenheimer Spielführer sagte aber auch im Hinblick auf die Qualität des Doppeltorschützen und damit Matchwinners: „Musiala ist einfach ein Weltklassespieler, der die richtigen Entscheidungen trifft und eiskalt ist. Es ist ein brutaler Abschlussspieler.“
Frank Schmidt wurde darauf angesprochen, dass seine Mannschaft (Kaderwert von knapp 63 Millionen Euro) bei den Bayern (Kaderwert von knapp 940 Millionen Euro) in der ersten Halbzeit nur 14 Prozent Ballbesitz hatte – ein absoluter Negativwert. Der FCH-Trainer konterte in gewohnter Manier: „Davor kam aber die Frage, dass das Spiel bis zum Schluss theoretisch hätte Unentschieden ausgehen können.“ Die Gäste schnupperten also, kurz, am Punktgewinn. „Mit ganz viel Glück passiert etwas Verrücktes nach dem 3:2“, erklärte Schmidt, fügte aber an: „Gerade sind wir nicht in der Phase, wo diese verrückten Dinge passieren.“
Die Leidenschaft, mit der wir das heute angegangen sind, können wir positiv mitnehmen.
Torschütze Mathias Honsak
Dennoch könnte die Leistung aus dem Bayernspiel ein erster, kleiner Schritt aus der sportlichen Krise werden. „Die Leidenschaft, mit der wir das heute angegangen sind, können wir positiv mitnehmen“, sagte Torschütze Mathias Honsak. Und Kapitän Mainka betonte im Hinblick auf die kommenden Gegner: „Jetzt kommen die Spiele, in denen wir punkten müssen.“
Zudem konnten die direkten Konkurrenten des FCH im Kampf um den Klassenerhalt an diesem Spieltag nicht punkten. Die Heidenheimer bleiben Tabellen-16., haben aber weiterhin nur einen Punkt Rückstand auf den vor ihnen liegenden FC St. Pauli.
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