Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Russland hat die Ukraine nach Angaben aus Kiew erneut massiv mit Drohnen und Raketen angegriffen. Die Flugabwehr habe in der Nacht 28 der 30 gestarteten Drohnen vernichtet, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstagmorgen mit. Die ukrainische Luftwaffe berichtete später sogar von 35 Drohnen, von denen 32 abgefangen worden seien. Vor allem Kiew war Ziel der Angriffe. Die dortige Militärverwaltung vermeldete den Abschuss von etwa 20 Drohnen. Informationen über Schäden oder Verletzte gebe es nicht.
Die ostukrainische Großstadt Saporischschja hingegen wurde mit sieben S-300-Raketen attackiert, wie der Generalstab erklärte. Die Folgen des Beschusses würden noch geprüft. Saporischschja liegt weniger als 50 Kilometer von der Front entfernt. Erstmals seit längerer Zeit war auch die westukrainische Stadt Lwiw wieder Ziel von Luftangriffen. In der Nacht habe es mehrere Explosionen gegeben, teilte Bürgermeister Andrij Sadowyj auf seinem Telegram-Kanal mit. Der Chef der Militärverwaltung, Maxym Kosytzkyj, gab gegen fünf Uhr morgens Entwarnung. Getroffen worden sei ein Objekt der kritischen Infrastruktur. Menschen seien aber nicht verletzt worden.
Selenskyj: «Wir haben keine Positionen verloren»
Die ukrainische Armee hat bei ihrer laufenden Gegenoffensive Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj zufolge bislang keine Geländeverluste hinnehmen müssen. «In einigen Gebieten bewegen sich unsere Kämpfer vorwärts, in einigen Gebieten verteidigen sie ihre Positionen und halten den Angriffen und intensiven Attacken der Besatzer stand», sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache am Montag. «Wir haben keine Positionen verloren, nur befreit.» Beobachter rechnen damit, dass sich die Gegenoffensive in verschiedenen Phasen über Wochen und sogar Monate hinziehen könnte.
Kiew spricht von planmäßiger Gegenoffensive
Das ukrainische Militär sprach von einem planmäßigen Verlauf der eigenen Gegenoffensive – räumte zugleich aber eine «schwere Lage» an der Front ein. Im Süden des Landes sei man auf «erbitterten Widerstand» der russischen Besatzer gestoßen, schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj bei Telegram. Der Vormarsch der Ukrainer werde durch Befestigungen, dichte Minenfelder und eine «große Zahl an Reserven» behindert. «Die Operation wird nach Plan fortgesetzt», versicherte Saluschnyj aber.
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar berichtete ebenfalls von einer «schweren Lage» und heftigen Kämpfen auch in der Ostukraine. Das russische Militär versuche bei Kupjansk im Gebiet Charkiw und bei Lyman im angrenzenden Luhansker Gebiet, die Initiative zurückzugewinnen, teilte sie mit.
Russland hat das Nachbarland Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen und führt seitdem einen Angriffskrieg. Vor knapp zwei Wochen hat die ukrainische Armee eine lang erwartete Gegenoffensive begonnen und konnte seitdem eigenen Angaben zufolge acht Dörfer und gut 113 Quadratkilometer Fläche befreien. Während auch internationale Beobachter immer wieder kleinere ukrainische Erfolge konstatieren, behauptet Moskau stets, alle Angriffe erfolgreich abzuwehren.
Stoltenberg: Formelle Nato-Einladung an Ukraine kein Thema
Nato-Generalsekretär Stoltenberg geht nicht davon aus, dass die Nato den ukrainischen Wunsch nach einer formellen Einladung in das Bündnis schon beim bevorstehenden Gipfel im Juli erfüllen wird. «Beim Vilnius-Gipfel und in den Vorbereitungen auf den Gipfel diskutieren wir nicht, eine formelle Einladung auszusprechen», sagte Stoltenberg nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin. «Was wir diskutieren, ist, wie wir die Ukraine näher an die Nato heranführen können.»
Selenskyj hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass er beim Gipfel im litauischen Vilnius eine formelle Einladung erwarte. Nach den Angaben von Stoltenberg wird darüber nun nicht mehr diskutiert. Es bestehe aber Einigkeit unter den Verbündeten, dass die Tür der Nato offen sei und die Ukraine schon beim Gipfel in Bukarest 2008 eine Beitrittsperspektive bekommen habe.
Macron: Flugabwehrsystem Samp/T in der Ukraine im Einsatz
Frankreich und Italien haben der Ukraine das Flugabwehrsystem Samp/T geliefert, das inzwischen in dem von Russland angegriffenen Land im Einsatz ist. Das System schütze dort wichtige Anlagen und Menschenleben, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris. Samp/T ist ein von Frankreich und Italien seit Anfang der 2000er Jahre gemeinsam entwickeltes Luftabwehrsystem. Es gilt als flexibel einsetzbar und effektiv für die Verteidigung gegen Flugzeuge und Raketen.
London: Wagner-Chef tritt konfrontativer gegen Moskau auf
Derweil verschärft sich der Streit zwischen der russischen Söldnergruppe Wagner und dem russischen Verteidigungsministerium nach Einschätzung britischer Geheimdienste weiter. Das britische Verteidigungsministerium zitierte am Dienstag den Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mit den Worten, er fordere eine Antwort auf einen «Vertrag», den er dem russischen Verteidigungsministerium vorgelegt habe. Damit reagiere Prigoschin auf das Ultimatum des Ressorts, Wagner und andere «Freiwilligenformationen» sollten sich bis zum 1. Juli vertraglich dem Verteidigungsministerium unterstellen.
Der Inhalt von Prigoschins «Vertrag» sei zwar nicht bekannt, hieß es in London weiter. Doch die Übermittlung an sich erhöhe schon das Risiko in dem internen Konflikt und sei «höchstwahrscheinlich ein weiterer bewusster Versuch, die Autorität der offiziellen Militärbehörden zu untergraben». Prigoschins Tonfall gegenüber dem Verteidigungsministerium sei eindeutig konfrontativ geworden, hieß es vom britischen Ministerium.