Jewgeni Prigoschi

Machtkampf in Russland: FSB ermittelt gegen Wagner-Chef

Der Konflikt zwischen der Söldnertruppe Wagner und Russlands Armee artet in eine offene Konfrontation aus. Wagner-Chef Prigoschin droht Verteidigungsminister Schoigu - und wird nun strafrechtlich verfolgt.

Machtkampf in Russland: FSB ermittelt gegen Wagner-Chef

In einer dramatischen Zuspitzung des Konflikts zwischen dem russischen Militär und der Privatarmee Wagner sind gegen den Söldnerchef Jewgeni Prigoschin Ermittlungen wegen eines versuchten bewaffneten Aufstands eingeleitet worden.

Dem 61-Jährigen drohen laut Generalstaatsanwaltschaft zwischen 12 und 20 Jahren Freiheitsstrafe. Prigoschin hatte gestern Abend die Militärführung beschuldigt, ein Lager seiner Söldnertruppen angegriffen und dabei viele seiner Männer getötet zu haben. Dabei drohte er mit Gegenmaßnahmen.

Prigoschin will Kampf nicht aufgeben

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu habe Wagner-Lager im Hinterland mit Artillerie, Hubschraubern und Raketen angreifen lassen, sagte Prigoschin in einer von seinem Pressedienst auf Telegram verbreiteten Sprachnachricht. Er habe 25.000 Männer unter Befehl, die nun aufklären würden, warum solch eine Willkür im Land herrsche. «Wer versucht, uns Widerstand zu leisten, den werden wir als Bedrohung betrachten und sofort töten», drohte Prigoschin. Ihm zufolge haben sich die Wagner-Söldner bereits nach Rostow am Don in Marsch gesetzt. Das sei aber nicht das Ende. Sie würden auch noch weiter als bis nach Rostow marschieren.

In der nahe der ukrainischen Grenze gelegenen Millionenstadt befindet sich das Hauptquartier der russischen Armee für den Süden des Landes. Reportern von russischen Nachrichtenagenturen zufolge gab es vereinzelt Straßensperren in der Stadt. Prigoschin behauptete in einer weiteren Audionachricht, seine Männer hätten einen Militärhubschrauber abgeschossen, der auf einen zivilen Konvoi geschossen habe. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht. Er warnte erneut, dass die Wagner-Söldner alle, die sich gegen sie stellten, als Bedrohung auffassen würden. «Wir haben ein Ziel, wir sind alle bereit, zu sterben», sagte er.

«Feige wie ein Weib»

In sozialen Medien wurden zudem am frühen Morgen Videos geteilt, die zeigen sollen, wie Wagner-Kämpfer das Militärhauptquartier in Rostow am Don umstellen sollen und schweres militärisches Gerät darauf richten. Dies konnte bislang nicht unabhängig bestätigt werden.

Prigoschins Angaben nach war Schoigu extra an nach Rostow gekommen, um die Operation gegen Wagner zu leiten. «Um 21.00 Uhr ist er geflohen – feige wie ein Weib – um nicht zu erklären, warum er Hubschrauber hat abheben und Raketenschläge durchführen lassen, um unsere Jungs zu töten. Dieses Biest wird aufgehalten», sagte Prigoschin. Er sprach von einer «großen Anzahl» an Toten, nannte aber keine genaue Zahl der angeblich bei dem Schlag getöteten Söldner.

Der Gouverneur von Rostow rief die Einwohnerinnen und Einwohner auf, zuhause zu bleiben. «Die aktuelle Situation erfordert die maximale Konzentration aller Kräfte, um die Ordnung aufrechtzuerhalten», schrieb Wassili Golubew auf Telegram. Die Strafverfolgungsbehörden täten alles Notwendige, um die Sicherheit der Bewohner der Region zu gewährleisten. «Ich bitte alle, ruhig zu bleiben und das Haus ohne Notwendigkeit nicht zu verlassen.»

Ermittlungen wegen versuchten bewaffneten Aufstands

Das Verteidigungsministerium wies die Vorwürfe umgehend zurück. Alle Anschuldigungen seien falsch und eine «Provokation», hieß es in einer am Abend verbreiteten Erklärung des Ministeriums.

Nur wenig später teilte das Nationale Anti-Terror-Komitee mit, der russische Geheimdienst FSB ermittle gegen Prigoschin wegen versuchten bewaffneten Aufstands. Prigoschin habe zum Kampf gegen Moskaus Militärführung aufgerufen, hieß es von dem Komitee, dem neben dem FSB praktisch auch alle anderen russischen Sicherheitsorgane angehören. Der FSB rief in der Folge die Wagner-Truppen auf, die «kriminellen» und «verräterischen» Befehle Prigoschins nicht zu erfüllen und Schritte für seine Festnahme zu ergreifen.

In Washington behielt die US-Regierung die Vorgänge nach Angaben des Sender CNN im Auge: «Wir beobachten die Situation und werden uns mit Verbündeten und Partnern über diese Entwicklungen beraten», wurde der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Adam Hodge, zitiert. Präsident Joe Biden sei über die Lage unterrichtet worden.

Schützenpanzer vor Duma in Moskau

Das russische Staatsfernsehen strahlte in der Nacht eine Sondernachrichtensendung aus, in der darüber informiert wurde, dass Prigoschin in Ungnade gefallen sei und festgenommen werden solle. Die Rede in der Sendung war von einer «Provokation» Prigoschins zum Nutzen der Ukraine. Die Medien in der Ukraine berichteten breit über den Machtkampf in Moskau. In der russischen Hauptstadt wurden Staatsmedien zufolge alle wichtigen Objekte unter besondere Kontrolle genommen. Zuvor waren Videos im Netz aufgetaucht, auf denen ein Schützenpanzer und ein gepanzerter Militärlaster vor dem russischen Parlament, der Staatsduma, entlang fahren.

Der Wagner-Chef, der eigentlich als unantastbar gilt und ein Vertrauter von Putin ist, hatte die russische Militärführung zuletzt immer wieder wegen der Niederlagen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert. Er spricht sich seit langem auch für eine neue Militärführung aus. Unabhängige Kommentatoren meinten, dass das Strafverfahren das Ende Prigoschins und seiner Wagner-Truppe in Russland bedeuten würde.

Armeegeneral Surowikin auf Seit des Kreml

Im Zuge der Konfrontation schlug sich der wichtige russische Armeegeneral Sergej Surowikin auf die Seite des Machtapparats in Moskau. Surowikin, der Vizechef des russischen Generalstabs ist, rief Prigoschin in einer Videobotschaft dazu auf, den Machtkampf zu beenden. «Der Gegner wartet nur darauf, bis sich bei uns die innenpolitische Lage zuspitzt», sagte Surowikin in einer Videobotschaft.

Surowikin gilt eigentlich als Verbündeter Prigoschins, entschied sich aber allem Anschein nach zur Loyalität dem Kreml gegenüber. Er rief nun dazu auf, sich dem «Willen und dem Befehl des vom ganzen Volk gewählten Präsidenten der Russischen Föderation unterzuordnen».

Berichten zufolge sind auch in den von Russland teilweise annektierten Gebieten Donezk und Luhansk die Sicherheitsorgane in Alarmbereitschaft versetzt worden, hieß es. Dort gibt es viele Wagner-Kämpfer. Seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine hat Moskau sich zum Teil auch auf die Privatarmee Wagner gestützt. Die Söldner haben etwa eine wichtige Rolle beim Kampf um die Stadt Bachmut im Osten der Ukraine gespielt. Nach der Eroberung zog Prigoschin seine Truppen von der Front ins Hinterland zurück.

Klage über nicht genug Munition an der Front

Schon während des Kampfes um Bachmut klagte Prigoschin über Sabotage vonseiten der regulären Truppen. Seine Einheiten würden nicht ausreichend mit Munition versorgt, lautete der Vorwurf.

Zuletzt hatte Prigoschin bereits täglich die Militärführung kritisiert. Gestern, wenige Stunden vor dem angeblichen Angriff auf die Wagner-Lager im Hinterland, hatte er die offiziellen Begründungen des Kremls für den Krieg in der Ukraine verworfen.

Entgegen der russischen Propaganda-Behauptung sei vor Kriegsbeginn im Februar 2022 Russland überhaupt nicht durch die Ukraine gefährdet gewesen, sagte er in einem Video. Die angeblich «wahnsinnige Aggression» vonseiten Kiews und der Nato habe es so nie gegeben. Außerdem hätten sich russische und prorussische Oligarchen Vorteile von dem Krieg erhofft, sagte Prigoschin.