Historisches Gebäude

Älter als die Stadtkirche: Wie es mit dem Giengener „Lamm“ weitergeht

Nebenan wird mit schwerem Gerät am „Barfüßer“ gebaut, im einstigen „Lamm“ wird aber auch gehämmert und gesägt. Bis in drei Jahren will Jürgen Honold dort Wohnungen anbieten können.

Im „Lamm“ brennt noch Licht. Zumindest eine einzelne Birne, man sieht sie von der Marktstraße aus leuchten. Im Erdgeschoss des früheren Hotels, im einstigen Nebenzimmer der Gaststätte, hat sich Jürgen Honold ein provisorisches Büro eingerichtet. Von hier aus plant er den Umbau des Hauses. „Ab heute in drei Jahren“ will er damit fertig sein, ein Jahr später als ursprünglich geplant. Der schwere Schaden, der beim Abbruch des benachbarten Gebäudes am Dach des denkmalgeschützten Hauses entstand, habe ihn zurückgeworfen.

Aufgegeben hat Honold aber nicht, das wird beim Rundgang durch das Haus klar. Sicher, man muss aufpassen, wo man hintritt, an Dutzenden Stellen hat Honold Wände und Boden öffnen lassen, damit einerseits die Bauingenieure den Zustand des Tragwerks prüfen und die Denkmalschützer die schutzwürdigen Bauteile in Augenschein nehmen können. Andererseits entsteht mit jeder Öffnung ein Bild des Gebäudes: Das alte „Lamm“ wurde nicht in einem Zug gebaut, vielmehr lässt sich in den Löchern gewissermaßen die Geschichte der Baustoffe vom 17. Jahrhundert bis heute ablesen. Mit einer Ausnahme: Schadstoffe, die aufwändig ausgebaut werden müssten, wurden zum Glück nicht gefunden. Eine Herkulesaufgabe wird der Umbau trotzdem sein.

Dachstütze wurde im Winter 1649 gefällt

Warum tut sich der frühere Gastwirt und Hotelbetreiber das an? „Es ist wahrscheinlich das älteste Gebäude in der Giengener Innenstadt, es gehört seit 180 Jahren zur Familie Honold und ich bin in dem Haus aufgewachsen“, sagt Honold. Tradition verpflichtet.

Das Gebäude an der Markstraße 19 wurde 1651 errichtet, 17 Jahre nach dem großen Stadtbrand. Das ist sogar wissenschaftlich belegt. Bei einer sogenannten dendrochronologischen Untersuchung einer Holzstütze wurde ermittelt, dass der Baum, aus dem das Bauteil gehauen wurde, im Winter 1649 gefällt wurde. Damit ist das „Lamm“ auch älter als die Stadtkirche und das Giengener Rathaus. Laut jüngsten Untersuchungen, erzählt Honold, ist einer der Gewölbekeller sogar noch älter und gehörte vermutlich zu einem Gebäude, das dem Stadtbrand zum Opfer fiel.

So sah das "Lamm" in den 1930er-Jahren aus. Bei der Renovierung soll das Gebäude wieder ein ähnliches Aussehen bekommen. Honold

1884 ging das Haus in den Besitz der Familie Honold über. Der Brauer Matthäus Honold und seine Frau Ursula Hähnle kauften es damals von Johann Philipp Mayer. Seither war es – wenn auch von Wandel geprägt – Brauerei und Gastwirtschaft gewesen. Der mit Parkett ausgelegte Saal im ersten Obergeschoss war Treffpunkt für Generationen, zuletzt vertieften sich hier die Giengener Schachspieler in ihre Züge. In den 1980er-Jahren entstanden Anbauten und Erweiterungen, die nun wieder abgerissen wurden. Honold hat den Betrieb Ende 2020 geschlossen, den Großteil des „Lamm“-Areals verkauft. Dort entsteht jetzt die „Barfüßer“-Gastronomie samt Hotel und Wohnungen. Das alte „Lamm“ aber ist immer noch da.

Mit jedem Stück, das wir freilegen, verstehe ich das Haus besser.

Jürgen Honold, „Lamm“-Besitzer

Honold hat präzise Pläne. Insgesamt neun Wohnungen beabsichtigt er in dem historischen Gebäude einzubauen. In den beiden Dachgeschossen sollen je eine Wohnung entstehen, in den drei Stockwerken darunter sieben weitere. Momentan liegt durch die vielen aufgestemmten Wände und Böden die Geschichte des „Lamms“ wie ein aufgeschlagenes Buch vor Honold und dem Denkmalamt. „Ich dachte, ich kenne das Gebäude“, sagt Honold, „aber mit jedem Stück, das wir freilegen, verstehe ich das Haus besser.“

Durch beim Abbruch der Nachbargebäude entstandene Schäden ist die Renovierung des "Lamms" verzögert. Rudi Penk

Dabei trifft Honold allerdings auch auf „Sünden“ der Vergangenheit. Einmal habe man beispielsweise eine dampfbetriebene Heizung eingebaut. Deren Leitungen korrodierten allerdings, der entweichende Dampf ließ etliche Balken verfaulen. Vom Stützbalken an einer Ecke ist nicht mehr viel übrig, augenscheinlich schon vor vielen Jahren wurde ein Ersatz aus Stahlprofilen montiert. Jetzt will Jürgen Honold alles fachgerecht sanieren lassen. Auch die Fassade soll in ein paar Jahren wieder so aussehen, wie sie ältere Giengenerinnen und Giengener noch aus ihrer Kindheit kennen, mit den Schmuckelementen am Giebel und den drei Fensterreihen mit Sprossenfenstern.

Der Dachstuhl neigt sich seit Jahrzehnten nach Norden

Dass es bis dahin noch dauern wird, liegt nicht zuletzt am Dach des „Lamms“. Oben, im Dachstuhl, der sich über drei Geschosse erstreckt, zeigt sich, dass die gesamte Holzkonstruktion um etwa acht Grad nach Norden geneigt ist. Das ist allerdings nicht neu, sondern schon seit Jahrzehnten der Fall. Womöglich wurden bei Umbauten vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten Aussteifungen entfernt, irgendwann kam ein gehöriger Windstoß und neigte das Dach. Honold rechnet rasch vor, dass längst noch keine Einsturzgefahr besteht. Das kann er mühelos, er hat einst Physik studiert und stand vor der Doktorarbeit, als sein Vater beschloss, den Betrieb abzugeben. So wurde aus dem Physiker ein Gastronom, das Verständnis für die Statik ist ihm aber geblieben. „Das sind alles nur Hebelgesetze“, winkt Honold ab.

Schaden am Dach hält den Umbau zum Wohnhaus auf

Dass seit geraumer Zeit ein riesiges Gerüst aus Stahl und Beton vor dem Haus steht, das den „Lamm“-Giebel festhält, liegt also nicht an vermeintlicher Instabilität. Vielmehr wollte man sichergehen, dass beim Abbruch der benachbarten Gebäude entstehende Erschütterungen den Dachstuhl nicht weiter neigen.

Das verhinderte freilich nicht, dass es im August 2022 von anderer Seite zu einem sprichwörtlichen Dachschaden kam. Beim Abbruch des einstigen Aufzugschachts sorgte eine offenbar unbemerkt gebliebene Verbindung zwischen Beton und Dachstuhl dafür, dass der Bagger ein zentrales Auflager der Dachsparren aus der Verankerung zog. Etliche alte Verbindungen lösten sich, an der Schadstelle kann man durch handbreite Spalten in die Tiefe blicken. Diesen Schaden zu beheben, dürfte technisch komplex und teuer werden. Derzeit, so Honold, sei nicht klar, wessen Versicherung dafür aufkommen muss. Aber auch das wird das alte „Lamm“ wohl verkraften.

Bilder vom Tanzsaal gesucht

Jürgen Honold ist auf der Suche nach alten Fotos vom Tanzsaal im ersten Stock, und zwar vor dessen Umbau vor einigen Jahrzehnten, bei dem der Saal durch Trennwände geteilt wurde. Wer solche Bilder in seinem Fundus hat, kann sich unter redaktion@hz.de bei der HZ melden, wir stellen dann den Kontakt her.

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