Windstärke zehn

Neujahrskonzert der Heidenheimer Opernfestspiele als Musikdampfer in voller Fahrt

Das Neujahrskonzert der Heidenheimer Opernfestspiele wurde unter dem Motto „A Night On Broadway“ zu einer eindrucksvollen Kreuzfahrt in alles andere als seichten Musical-Gewässern.

Was tun, wenn das Motto des Heidenheimer Neujahrskonzertes „A Night On Broadway“ lautet? Hingehen. Auch, wenn man kein Musical-Fan ist? Sogar dann. Denn so viel Vertrauen hat man über die Jahre aufgebaut. Wo Meisterkonzerte draufsteht, sind auch Meisterkonzerte drin. Und wenn, sozusagen im Kleingedruckten, auch noch die Opernfestspiele aufgeführt sind, dann kann eigentlich kaum etwas schiefgehen. Selbst, wenn Marcus Bosch „A Night On Broadway“ ausruft.

Also setzte am Freitag im Festspielhaus der frühere Opernfestspieldirektor, der seit seiner Vertragsverlängerung bis 2030 nun als Opernfestspielintendant fungiert, auf Musical. Wobei zum Anstoßen auf die Saison 2025, aber das hatte hoffentlich auch niemand erwartet, selbstverständlich nicht der handelsübliche Fusel der Marke „Best of Musical“ gereicht wurde, sondern lauter edle alte Tropfen. Musik aus der Zeit, als der künstlerische Ertrag von Musicals noch locker mit dem kommerziellen im Einklang blieb.

Als musikalische Mitstreiter hatte sich Marcus Bosch diesmal die Stuttgarter Philharmoniker und die Sopranistin Leah Gordon an Bord seines ausverkauften Musikdampfers geholt, mit dem er bei voller Kraft voraus spielend Kurs hielt. Landausflüge inklusive.

Auf der Bühne also lauter gute alte Bekannte aus den Reihen der Opernfestspieler, von denen man sich einiges versprechen durfte. Zuvor allerdings sprach traditionsgemäß der Oberbürgermeister. Michael Salomo wünschte allen alles Gute im neuen Jahr und vergaß auch nicht, Kunst und Kultur, insbesondere auch den Zugang zu beidem, als Grundpfeiler unserer Demokratie einzuordnen.

Dann aber, erste Station der Kreuzfahrt nach Noten: der Atlantik. Denn auf dem Ozeandampfer „America“ angesiedelt ist die Handlung von Cole Porters „Anything Goes“, mit deren auf vier Songs des Ganzen basierender Ouvertüre der Reigen im Festspielhaus begann. „Kiss Me Kate“ hingegen spielt auf dem Theater, wo Schauspieler Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ proben, ein Stück im Stück also – und die erste Gelegenheit des Abends für Leah Gordon, mächtig aufzutrumpfen, speziell mit dem herrlich angeschrägten „Why Can’t You Behave“.

Neuer Song, neues Kleid; Leah Gordon überließ in Heidenheim nichts dem Zufall. Natascha Schröm

Die Sopranistin ist ja geradezu eine Allzweckwaffe. Nicht nur der Operngesang ist ihr Metier. Ihre Musical-Ausflüge im Festspielhaus gestaltete sie ganz ohne dieses hohle Pathos, das so vielen Deklamationsübungen dieser Szene anhaftet, sondern interpretierte die Songs überwiegend eher zurückhaltenden, dafür immer feinsinnig bis regelrecht nobel. Zum Beispiel Cole Porters „Night And Day“ aus „Gay Divorce“, einer fröhlichen Scheidungskomödie, bei deren Uraufführung 1932 noch Fred Astaire mitwirkte, ehe er vom Broadway nach Hollywood wechselte,

Dass Leah Gordon aber auch das mit seiner Fokussierung auf Vokale für die meist auf Englisch setzenden Disziplinen Pop, Rock und Musical passendere sogenannte Belting draufhat, eine im besten Fall auf der klassischen Schule basierende Gesangstechnik mit größerem Bruststimmenanteil, die mit deutlich stärkerem Atemdruck und weniger Vibrato einhergeht. Ein Paradebeispiel für diesen Schmetter-Sound war beispielsweise Whitney Houston.

Und Leah Gordon gab im ersten Programmteil in dieser Disziplin geradezu in Fanfarenzugstärke dem Affen Zucker mit „There’s No Business Like Show Business“ aus Irving Berlins „Annie Get Your Gun“. Der Hit aus dem Musical über die in Buffalo Bills Wildwest-Zirkus reisende Kunst- und Scharfschützin Annie Oakley hatte es 1946 übrigens nur ganz knapp überhaupt in die Uraufführung geschafft, denn er hatte den Produzenten der Show überhaupt nicht gefallen.

Jede der beiden Halbzeiten des Abends hatte jedoch auch zwei Schwerpunkte, die ganz ohne Gesang auskamen. Vor der Pause war das George Gershwins Catfish-Row-Suite mit Motiven aus „Porgy And Bess“, einem Werk, bei dem es sich eigentlich ja um eine Oper handelt. Und wer jemals in Charleston, South Carolina, gewesen ist und dort in Hafennähe in der Cabbage Row, war dort, wo diese Geschichte spielt.

Die opulent orchestrierte Suite nahmen Marcus Bosch und die mit großem Besteck samt acht Schlagzeugern angereisten Stuttgarter Philharmoniker zum Anlass, in Sachen Groove mal richtig weit auszuholen und soundmäßig den Hammer ganz hoch zu hängen. Und im zweiten Teil machten sie das mit Kurt Weills symphonischer Nocturne aus „Lady In The Dark“ ganz genauso.

Zwischendurch immer wieder Leah Gordon in immer wieder neuer Garderobe: „I Could Have Danced All Night“ aus Frederick Loewe „My Fair Lady“ und Harold Arlens „Somewhere Over The Rainbow“ aus „Der Zauberer von Oz!“ als wiederum durch und durch angenehm gestaltete Verbeugung vor dem Gerngehörten, aber auch mit dem heute in der 1962er-Version von Gerry and the Pacemakers eigentlich nur noch in Fußballstadien, vor allem an der Anfield Road in Liverpool zu hörenden „You’ll Never Walk Alone“  aus Richard Rodgers auf Frerenc Molnárs Theaterstück „Liliom“ basierenden und mit einem optimistischen Ende versehenen Musical „Carousel“ aus dem Jahr 1945.

Und kaum, dass Marcus Bosch mit George Gershwins „Cuban Ouverture“ bewiesen hatte, dass er auch den karibischen Hüftschwung draufhat, erlebten die begeisterten Passagiere ihn und Stuttgarts Philharmoniker zum Abschluss des Abends noch einmal wie zu Beginn als Transatlantiksurfer in Sachen „Anything Goes“. Dazu gab’s gesangliche Windstärke zehn von Leah Gordon, die sich einen spektakulären Belting-Abgang mit „Blow, Gabriel, Blow“ nicht nehmen ließ.

Die Zugabe überließ der Dirigent dem Orchester ganz allein: noch einmal „There’s No Business Like Show Business“. Da ist schon was dran.

Zweite Auflage des Konzerts gleich am Samstag

Eine zweite „Night On Broadway“ mit demselben Programm gab es am Samstag, 11. Januar, ab 20 Uhr im Festspielhaus.

Wiedersehen im Sommer

Sowohl mit Leah Gordon als auch mit den Stuttgarter Philharmonikern wird es dieses Jahr im Verlauf der Opernfestspielsaison ein Wiedersehen und Wiederhören geben. Die Stuttgarter werden unter anderem bei den Doppelabenden mit „Gianni Schicchi und Elektra“ im Orchestergraben sitzen (Premiere 4. Juli), Leah Gordon wird beim Eröffnungskonzert (5. Juni) und die weibliche Hauptpartie der Odabella in Giuseppe Verdis „Attila“ singen (Premiere 17. Juli).

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar