Das Leben kann so einfach sein! Haben Sie ab und zu spontan Bedarf an kochendem Wasser? Wie wäre es, welches vorzukochen und einzufrieren, damit Sie es immer griffbereit haben?
Falls Sie jetzt den Sparwitz gleich durchschaut haben, aber ob seiner Seichtheit nur müde lächeln konnten, gehören Sie womöglich zu den Menschen, die in den sozialen Medien wie Tiktok, Instagram oder Facebook nichts fürchten müssen. Andernfalls könnte es sein, dass es Ihnen wie mir geht: Sie wundern sich zumindest, ob jemand solche Ideen wirklich ernst nehmen könnte. Oder Sie probieren es selbst aus.
Einfache Anleitungen für komplizierte Alltagsprobleme
Die sogenannten „Lifehacks“ aus dem Internet (darunter versteht man vermeintlich einfach nachzumachende Anleitungen für komplizierte Alltagsprobleme) sind von Laien nämlich nicht immer gleich zu durchschauen. Und da ich als unbedarftes Stadtkind zum Beispiel von Landwirtschaft keine Ahnung habe, umso mehr jedoch Respekt und Faszination fürs Anbauen von Gemüse hege, fiel ich gleich rein. Aufs sogenannte „Regrowing".
Mit kinoreifen Illustrationen ziemlich überzeugend daherkommende Influencer, in ihrer Fachsparte auch Food-Blogger genannt, empfahlen mir damals per Instagram, Gemüseabschnitte, wie das untere Ende von Zwiebeln oder Staudensellerie, nicht etwa wegzuschmeißen oder zu verkochen, sondern erneut einzupflanzen.
Wie von Zauberhand solle sich das leckere Gemüse schnell erholen und neue Ernte liefern. Die klimaschädlichen Transportwege entfallen, Bioware vom Balkon – klingt super! Aber funktioniert es auch im „Real Life“ – dem wahren Leben? Spoiler vorweg: nein.
Vertrocknet oder verfault? Habe ich was falsch gemacht?
Zwar wuchs mein Sellerieabschnitt dank schöner Erde, offenbar optimaler Wässerung und gutem Zureden an und bildete sogar Wurzeln und ein paar Zentimeter neues Grün, aber dabei blieb es. Als dann der sich passend ergebende milde Winter überstanden war und das zarte Pflänzchen diesen unverhofft überlebt hatte, keimte neue Hoffnung. Aber auch im darauffolgenden Frühjahr und Sommer änderte sich nichts. Der Sellerie blieb so zwergwüchsig wie im Vorjahr. Und irgendwann ging er dann schließlich ein. Experiment gescheitert – vertrocknet oder doch verfault? Habe ich was falsch gemacht?
Natürlich liefert Google bei Spitzfindigkeiten, wie der Frage nach der Resilienz von reanimierten Gemüseschnitzen, keine vernünftigen Erklärungen. Daher waren „Reality Checks“ zum „Regrowing“ auch kaum zu finden. Das wahre, konventionelle Leben scheint für die Suchmaschine weniger spektakulär und umsatzträchtig zu sein als vermeintliche Wunder mit Alternativen, die alles bislang Dagewesene in ihren Schatten stellen. Und das ist leider nicht nur bei Gemüseanbautipps der Fall.
Weitere Beispiele, wie alternative, angeblich artenfreundliche Vergrämungsmethoden für Buchsbaumzünsler, Löwenzahn sowie Stadttauben oder Zaubertricks gegen graues Haar und Falten oder die ultimative Technik, eine perfekte Wassermelone zu erkennen, möchte ich Ihnen an dieser Stelle ersparen. Aber einen weiten Bogen spannen, mit einer These, warum zweifelhafte Alternativen gegen die Expertise von Experten keine Alternative sind.
Politik ist wie Gemüseanbau – nicht ganz einfach
Erinnern Sie sich noch an „Titan“, das Unterseeboot, das vor etwas mehr als einem Jahr am Wrack der „Titanic“ implodierte und fünf Menschen in den Tod riss? Da war es, wenn man so will, auch ein Lifehack: eine alternative, zuvor nicht dagewesene Bauweise, die bei echten Profis nur Kopfschütteln hervorrief. Und sagt Ihnen der Name Christine Maggiore noch etwas? Die US-Amerikanerin war in den 1990er-Jahren die Speerspitze der HIV-Leugner. Als Alternative zum wissenschaftlichen Konsens witterte sie eine Verschwörung von Regierung und Pharmaindustrie. Sie starb schließlich an Aids.
Zwei weitere, vermeintliche Alternativen haben die Echokammer von Facebook, Tiktok, Instagram und Co. bereits verlassen und sind gerade mit voller Wucht im wahren Leben, in den Parlamenten Thüringens und Sachsens angekommen. Politik ist aber – und da verhält es sich wie mit dem Gemüseanbau – nicht so einfach, als dass man’s mit einem Lifehack lösen könnte.
Weitere Netzfunde im Realitätscheck:
Katzen flippen nicht grundsätzlich beim Anblick einer Gurke aus, meine zumindest nicht. Beim Tomatenanbau gilt: Omas Rezept für Brennnesseljauche als Dünger funktioniert am besten; je größer der Topf, umso besser. Und: Will man den Buchsbaumzünsler ernsthaft für immer loswerden, sollte man die Buchsbäume ganz entfernen.