Leserbrief

Traumatisiert den Bettel hingeworfen

Leserbrief zur Zukunft des Elmar-Doch-Hauses und zum Beitrag "Entscheidung ohne Belege" (Ausgabe vom 22. Juli):

Traumatisiert den Bettel hingeworfen

Silja Kummer könnte richtig liegen mit Ihrem Kommentar. Sie rät Stadträtinnen und Stadträten, sie sollten ihre Rolle im Gemeinderat aktiv ausfüllen. Und sie unterstellt, dass die Stadträtinnen und Stadträte bei den Kommunalwahlen 2024 wieder „Stimmen der Bürgerinnen und Bürger einsammeln“ wollten.

Es könnte auch eine ergänzende Perspektive geben: An Wahlen hat die Mehrheit der Heidenheimerinnen und Heidenheimer offenbar wenig Interesse, jedenfalls wirken recht wenige Menschen daran mit. An der OB-Wahl beteiligte sich gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten, bei den vergangenen Gemeinderatswahlen weniger als die Hälfte. Wieso also sollten sich engagierte und qualifizierte Menschen für ein Amt zur Verfügung stellen und wählen lassen, das auf geringes Interesse stößt? Etwa um zwischen die Fronten von Stadtverwaltung und Medien zu geraten? Oder um beim Einkaufen oder auf der Straße angemuffelt zu werden? Wer seine Zeit wirksam einsetzen möchte, findet womöglich andere Möglichkeiten der Mitwirkung.

Wenn die Parteien derzeit für die Listenaufstellung nach Kandidierenden suchen, könnte es also sein, dass die geeignetsten Menschen abwinken. Wer gibt sich unter den oben beschriebenen Umständen noch als Kandidatin oder Kandidat für eine Wahl her? Da haben die möglichen Kandidierenden die „1. Wahl“.

Die „2. Wahl“ zu den Gemeinderatswahlen 2024 haben dann in den kommenden Wochen bis Ende März 2024 diejenigen, die eine Wahlliste aufstellen: In dieser Zeit nämlich entscheiden meistens ein paar wenige Parteimitglieder über die Listenaufstellung. Das Ergebnis sind dann jene Wahlzettel, aus denen die Bürgerinnen und Bürger im Juni 2024 die „3. Wahl“ haben.

So sind die Spielregeln, nach denen wir alle mitwirken können. Wer anders mitwirken möchte, weil sie oder er sich eine gute Wirkung seines Engagements wünscht, findet auch andere Möglichkeiten, um einen Lösungsbeitrag für die Herausforderungen von Heidenheim zu bringen. Zweierlei fällt mir in Heidenheim allerdings deutlicher auf als andernorts: Hier engagieren sich wenige Menschen sehr stark und viele Menschen sehr schwach für das große Ganze.

Und auffallend oft höre ich Geschichten, wie sich engagierte Menschen von dieser oder jener Stelle ausgebremst fühlten: Ich habe geradezu den Eindruck, dass ehemals Engagierte dermaßen traumatisiert sind, dass sie nicht nur den Bettel hingeworfen haben, sondern auch so lange, oft und laut davon erzählen, dass andere Menschen die Lust verlieren, bevor sie mit dem Engagement begonnen haben. Das wäre fatal und würde möglicherweise die geringe Wahlbeteiligung erklären.

Wer sich in Heidenheim eher zu den Problemverursachern, und wer sich eher zu den Problemlösern zählen kann, das habe ich bisher noch nicht verstanden. Bis ich dahinter gekommen bin, danke ich jeder und jedem, die sich für die kommunale Selbstverwaltung engagieren.
Jens Flammann, Heidenheim