Warum Jörg-Michael Junginger als Wahl-Mainzer noch immer Heidenheim im Herzen trägt
Fünfeinhalb Kilometer Luftlinie liegen zwischen der Mewa-Arena in Mainz und Jörg-Michael Jungingers Zuhause. Trägt der FSV eines seiner Heimspiele in der Fußball-Bundesliga aus, geschieht das also fast vor der Haustür des 63-Jährigen. Noch näher liegt ihm freilich der 1. FC Heidenheim. Der Club, der seine Geburtsstadt seit einigen Monaten in den größten Stadien Deutschlands vertritt – und der am 16. Dezember erstmals seine Visitenkarte in Mainz abgibt.
Junginger sitzt dann natürlich im Stadion, von dem aus es wiederum nicht einmal drei Kilometer bis auf den Lerchenberg sind, wo seit 49 Jahren das Sendezentrum des ZDF thront. Dieser Umstand hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Junginger heute in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt lebt und nicht anderswo, beispielsweise unterm Hellenstein. Daran wird sich auch nichts ändern, „denn ich habe zwar eine innige Beziehung zu Heidenheim, aber mittlerweile ist es einfach zu spät, nochmal umzuziehen.“
Mit den HSB-Handballern in der Oberliga gespielt
Mit FCH-Trainer Frank Schmidt teilt Junginger, der in Bolheim aufwuchs, das biografische Detail, in Heidenheim zur Welt gekommen zu sein. Am Max-Planck-Gymnasium bestand er 1979 die Abiturprüfung, nachdem er zuvor auch das Herbrechtinger Progymnasium besucht hatte. Inspiriert durch seinen Vater war er Turner und Leichtathlet, außerdem spielte er Handball und erlebte die erfolgreiche Oberligazeit des Heidenheimer Sportbunds mit. „Es war eine schöne Erfahrung, in einer tollen Mannschaft mit Spielern wie Uli und Martin Grath zu stehen“, sagt er im Rückblick.
Mit einer äußerst schwächlichen Konstitution ins Leben gestartet, half ihm der Sport dabei, körperliche Defizite nach und nach auszugleichen. 15 Monate Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall trugen ihrerseits dazu bei, „dass ich nie fitter war als damals, weil wir nur Ski gefahren sind“.
Auch beruflich war Junginger früh in der Spur, entschied sich für ein Volontariat bei der „Heilbronner Stimme“, wo ihn der frühere HZ-Redakteur Hans-Georg Frank unter seine Fittiche nahm. „Ich war ganz gut in Deutsch, hatte in Herbrechtingen für die Schülerzeitung Brenztal-Mammut geschrieben, war Schülersprecher und durchaus extrovertiert, deshalb lag das nahe“, so Junginger.
Er blieb seinen Neigungen treu und studierte von 1982 bis 1987 in Mainz Sport und Publizistik. Womit der Bogen geschlagen ist zum Beginn dieser Geschichte: Seit Jahrzehnten schon sehen viele Studentinnen und Studenten der Johannes-Gutenberg-Universität ein Praktikum beim ZDF als attraktive Einstiegsmöglichkeit in die eigene Karriere. So auch Junginger.
Artikel für die Heidenheimer Zeitung geschrieben
Auf eine Hospitanz folgte schnell die freie Mitarbeit, auf das Formulieren von Nachrichten bald der erste kleinere Beitrag. Junginger erinnert sich noch gut an sein Vorstellungsgespräch mit Wolfram Esser, der in den 1980er-Jahren das „Aktuelle Sportstudio“ leitete. Im Gepäck: Mehrere Artikel, die er in den Semesterferien für die Heidenheimer Zeitung geschrieben hatte. „Licht und Schatten beim HSB“ war 1983 ein Bericht über das 3:1 gegen den FV Illertissen zum Saisonauftakt in der Landesliga. An die Umbenennung in FCH und Bundesligafußball dachte seinerzeit noch niemand.
Junginger etablierte sich derweil auf dem Lerchenberg, wo Dieter Kürten Sportchef war. Der Weg zur Live-Berichterstattung vor der Kamera war kein einfacher, wurde ihm seitens der Führungsebene doch zunächst nahegelegt, in Anbetracht seines „sozialprestige-minderwertigen Dialekts“ über eine andere berufliche Tätigkeit nachzudenken.
Schwäbischen Dialekt abtrainiert
Der einstige Bolheimer Bub nahm`s jedoch sportlich, „denn ich hatte gelernt, dass Gewinnen und Verlieren zusammengehören, und man an seiner Frustrationstoleranz arbeiten kann“. Bedeutet: Zwei Jahre lang konsequenter Sprechunterricht, und das angebliche Manko war beseitigt.
Insgesamt zehn Jahre lang arbeitete Junginger fürs ZDF, berichtete von Großereignissen wie der Leichtathletik-EM 1986 in Stuttgart sowie den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta und 2002 in Salt Lake City. Noch gut in Erinnerung ist ihm sein Live-Kommentar, als die Biathletin Andrea Henkel dort über die 15-Kilometer-Distanz triumphierte: „Es war ungewöhnlich warm, und als an dem Gerüst, auf dem ich saß, mehrere Metallstreben zusammenbrachen, purzelten plötzlich zig Wespen heraus und schwirrten um mich herum.“
Sendungen fürs Lufthansa-Bordprogramm produziert
Zwischendurch war Junginger längere Zeit auf anderen Feldern aktiv. So war er für eine Firma tätig, die das damals noch auf VHS-Kassetten gespeicherte Fernseh- und Radio-Bordprogramm für die Maschinen der Lufthansa produzierte. Außerdem arbeitete er für Vox, Sat1, 3Sat und N-TV. Und dann war da auch noch die Gründung von Media Advice. Das Trainings- und Beratungsunternehmen leitet bis heute Akteure aus sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen im Umgang mit Medien an.
Das Verhalten bei Talkshows und Interviews gehört ebenso dazu wie die Kommunikation im Krisenfall, wie Reden und Pressekonferenzen. „Es wird so viel falsch gemacht“, sagt Junginger, „und meine Motivation ist es, Menschen darin zu schulen, wie sie in 20 Sekunden auf den Punkt kommen können, anstatt zehn Minuten zu reden, ohne etwas zu sagen.“
Gastdozent an der Mainzer Uni
Wie sich die nach Jungingers Einschätzung oftmals ausbaufähige Qualität des Auftretens vor und hinter der Kamera verbessern lässt, gibt er auch an den beruflichen Nachwuchs weiter. Als Lehrbeauftragter für Unternehmenskommunikation unterrichtet er seit 2010 am Institut für Publizistik der Mainzer Uni.
Keine Gedanken über mediengerechte Selbstdarstellung muss sich Junginger machen, wenn er nach Bolheim kommt, wo sein mittlerweile 97-jähriger Vater noch immer lebt. Regelmäßig erwachen dann „die Erinnerungen an eine phänomenale Zeit, die ich dort verbracht habe“.
Mit "Bulle Roth" in der Wohnstube gejubelt
Was einen mit der Heimat verbinde, sei die Erinnerung, sagt der zweifache Familienvater und denkt zurück an den 31. Mai 1967. Damals besiegte der FC Bayern München im Endspiel des Europapokals der Landesmeister durch ein Tor von „Bulle“ Roth die Glasgow Rangers mit 1:0. Und weil TV-Geräte noch keine Selbstverständlichkeit waren, verfolgten 30 Leute die Partie in der Wohnstube eines Nachbarn der Jungingers.
Längst Geschichte ist auch manches, was Junginger gleichwohl immer noch vor dem inneren Auge sieht: „Sambesi, Bistro, Coupé, die Menschentrauben vor dem Tchibo – das war familiär und hatte Charme“, sagt er. Heute hingegen sei vieles anonymer, kühler, gesichtsloser. „Lassen Sie es mich in Anlehnung an Loriot so sagen: Früher war mehr Lametta.“
Kartoffeln vom eigenen Acker
Eine Reminiszenz an die Kindheitstage im Schwäbischen hat der 63-Jährige aber in seine Wahlheimat hinübergerettet: War sein Großvater einst in Steinheim Landwirt im Nebenerwerb, so hat er jetzt in Mainz einen kleinen Acker gekauft und auch schon die ersten 500 Kilogramm Kartoffeln geerntet.
Bleibt zum Schluss noch der Tipp für die Partie am 16. Dezember. „1:2“, sagt Junginger ohne Zögern, „ich bin zwar Wahl-Mainzer, im Herzen aber halt ein Heidenheimer.“