Es seien für sie „ganz besondere Emotionen, in dieser Stadt zu sein“, sagte Jutta Kammann zu Beginn ihrer Lesung am Mittwochabend in der Stadtbibliothek. Die in Heidenheim geborene Schauspielerin, die vor allem als Oberschwester Ingrid aus der ARD-Erfolgsserie „In aller Freundschaft“ bekannt ist, verbindet mit ihrer Kindheit an der Brenz allerdings auch viele schmerzhafte Erinnerungen. Vor rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörern las die 80-jährige Mimin aus ihrer Biografie „Rothaarig und wild entschlossen! – Aufgeben gibt’s nicht“.
Dass Jutta Kammann in Heidenheim zur Welt kam, hatte mit den Wirren des 2. Weltkrieges zu tun. Während der Vater als Soldat an der Front diente, musste ihre damals schwangere Mutter das schwer zerbombte Düsseldorf verlassen und in eine einigermaßen sichere Kleinstadt evakuiert werden.
Eltern hätten lieber einen Sohn gehabt
Die Eltern hatten sich fest darauf verlassen, dass sie einen Sohn bekommen sollten, dem sie den Namen Bernd geben wollten. Doch statt Bernd erblickte Jutta im Heidenheimer Marienhospital am 22. März 1944 das Licht der Welt – die Mutter sei darüber „zutiefst enttäuscht“ gewesen.
Zeit ihres Lebens blieb das Verhältnis zur Mama angespannt, die psychisch krank war („Heute würde man sagen, es war ein Borderline-Syndrom“) und wohl auch darunter litt, dass die Ehe eigentlich schon vor Juttas Geburt gescheitert war. Die Mutter hatte später einen Freund, von Jutta „Onkel Hans“ genannt. Als der die Familie Kammann zugunsten einer anderen Frau verließ, gab’s Vorwürfe von der Mutter an Jutta und ihre Schwester Gisela. „Ich fühlte mich als Kind immer schuldig“, erzählt die spätere Schauspielerin.
Lange durfte Jutta freilich nicht im Quartier in der Ernst-Degeler-Straße wohnen. Die Mutter schickte sie in Pflegefamilien und Kinderheime. In manchen Unterkünften hätten brutale Verhältnisse geherrscht. So musste die kleine Jutta einmal stundenlang barfuß auf einem kalten Steinboden stehen, um über angebliches Fehlverhalten nachzudenken. Da sie von Heidenheim über Giengen und Ulm nach Darmstadt „weitergereicht“ wurde, blieben auch schulische Defizite nicht aus. „Ich war an vielen Orten nicht nur die Neue, sondern auch die Doofe.“
Eine Kiste auf einer Terrasse nutzte sie manchmal als Versteck. „Ich war dort sicher, aber auch verloren. Ein Kind, vergessen von der Welt“, schreibt Jutta Kammann in ihrem Buch. Alpträume und Schlafwandeln waren die Folgen. Es habe aber auch Unterkünfte gegeben, in denen sie sich wohlfühlte, ließ die Schauspielerin nicht unerwähnt.
Schon früh der Traum, Schauspielerin zu werden
Den Traum vom Schauspielern hatte Jutta Kammann schon als Fünfjährige, als sie in Heidenheim bei einem Krippenspiel die Maria spielen durfte. Dass sie ihn realisieren konnte, hatte mit ihrer Willenskraft zu tun: „Das Selbstbewusstsein, das man als junge Schauspielerin braucht, habe ich mir selbst erarbeitet.“
Es gab aber auch glückliche Umstände – in erster Linie das Kennenlernen ihres späteren Lebensgefährten, des Fernsehregisseurs Wilhelm Semmelroth. Er half ihr, den Fuß in die Tür zu bekommen. Die Schauspielerei, die sie an der Westfälischen Schauspielschule Bochum erlernte, sei ein „sehr, sehr schwerer Beruf“, der unheimlich viel Disziplin und Fleiß erfordere, sagt Jutta Kammann.
Als ihr Lebensgefährte starb, den sie als „Liebe ihres Lebens bezeichnet“, musste sie am selben Abend in Stuttgart zu einer Komödie auf der Bühne stehen und anderntags wieder. Manchmal hatte sie Tränen in den Augen, „aber die Kollegen hatten sich so vor mich hingestellt, dass das Publikum nichts mitbekam“.
Seit zehn Jahren lebt Jutta Kammann in der Seniorenresidenz Augustinum in München. Dort lernte sie Mia Springer kennen, die sie bei der Organisation von Lesungen unterstützt. Heute, so zitierte Jutta Kammann aus ihrer Biografie, seien ihr Reichtum, Aussehen und Status nicht mehr wichtig – stattdessen echte Freundschaften, die sie als Kind so sehr vermisst hatte.
Krimis, Serien und viel Theater
16 Jahre spielte Jutta Kammann in der Krankenhaus-Serie „In aller Freundschaft“ die Oberschwester Ingrid. Dieses Langzeit-Engagement habe ihr sehr geholfen, sich für die späteren Jahre finanziell abzusichern. „Ich war sehr gerne in Leipzig“, sagt sie rückblickend. Doch Jutta Kammann war auch in vielen anderen TV-Serien zu sehen, etwa in Krimis wie „Derrick“ oder „Der Alte“. Neben zahlreichen Engagements an verschiedenen Schauspielhäusern sah man sie in den Siebziger Jahren auch in Krimis wie „Der rote Schal“ oder „Der Monddiamant“.