Interview

„Die Mannschaft lebt“: Wie Mentaltrainer und Ex-Profi Sven Schimmel auf den FCH im Abstiegskampf blickt

Mit Marc Schnatterer lieferte sich Ex-Profi Sven Schimmel einige umkämpfte Duelle auf dem Schlossberg. Als Mentalcoach schaut er mittlerweile aus einem anderen Blickwinkel auf den Fußball, den Abstiegskampf in der Bundesliga und die aktuelle Situation des 1. FC Heidenheim.

Torschüsse, Sprints, Zweikämpfe und Spielformen: Sven Schimmel kennt die typischen Trainingselemente aus seiner Zeit als Fußballer nur allzu gut. Nach Stationen beim VfB Stuttgart und dem SV Wehen Wiesbaden beendete er im Alter von 23 Jahren seine Profikarriere. Der Fußball hat den heute 35-Jährigen aber nicht losgelassen, nach einem abgeschlossenen Studium der Medienwirtschaft ist er heute als Trainer aktiv. Sein Spielfeld ist aber nicht der Rasen, sondern eine andere Seite seines Herzenssports. Als Mentalcoach unterstützt Schimmel zahlreiche Fußballerinnen und Fußballer auf ihrem Karriereweg.

Mit dem 1. FC Heidenheim verbindet der gelernte Außenverteidiger mehrere intensive Duelle in der 3. Liga. Warum er sich in den Spielen besonders auf Marc Schnatterer als Gegenspieler gefreut hat, weshalb er die mentale Ebene im Trainingsalltag vermisst und wie er die Lage des FCH im Abstiegskampf einschätzt, verrät Sven Schimmel im Interview.

FCH-Trainer Frank Schmidt hat erzählt, es hätten sich nach der Niederlage gegen den FSV Mainz 05 mehrere Psychologen bei ihm gemeldet. Waren Sie einer davon?
Da waren wir nicht dabei. In sportlichen Krisen liegt ein gewisses Augenmerk auf den Vereinen. Dann kommen viele Sportpsychologen oder Mentalcoachs, die angeblich ein Allheilmittel für so eine Situation parat haben. Ich finde es tatsächlich schwierig, erst zu diesem Zeitpunkt damit anzufangen.

Weil es im Falle einer gewachsenen Krise schon zu spät ist?
Man kann jetzt natürlich gewisse Impulse setzen, an denen man arbeiten kann. Ein Problem des Mentaltrainings im Fußball in Deutschland ist, dass es – anders als zum Beispiel das Athletiktraining – oft nicht im Trainingsalltag integriert ist. Die Krise ist häufig der Startschuss, aber es ist oft nicht das richtige Signal an die Mannschaft, die dann vielleicht nicht mehr die nötige Offenheit hat.

Welcher wäre der richtige Zeitpunkt?
Grundsätzlich wäre es gut, die mentale Arbeit von Beginn an in den normalen Trainingsalltag zu integrieren – sowohl auf Teamebene als auch im individuellen Bereich. Wir arbeiten mit den Spielern im individuellen Bereich langfristig zusammen. Die Spieler kommen meistens auf uns zu und wollen im Eins-zu-Eins von uns unterstützt werden. Im mentalen Bereich geht es viel um die Individualität des Spielers. Jeder geht anders mit einzelnen Situationen um. Deshalb müssen eine Verbindung und ein Vertrauensverhältnis zum Spieler bestehen, damit er sich öffnen und Dinge teilen kann. Wir können den Spieler so ganz anders abholen, erreichen und dann an den Themen ansetzen, die ihn in der jeweiligen Situation beschäftigen.

Sven Schimmel hat bereits mit mehr als 200 Fußballerinnen und Fußballern zusammengearbeitet: Einer davon ist Tom Bischof (links) von der TSG Hoffenheim. Sven Schimmel

Sie haben selbst als Spieler Ihre Erfahrungen mit dem FCH und Frank Schmidt gemacht. Von den sieben Pflichtspielen gegen die Heidenheimer haben Sie keines gewonnen.
Das hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm, danke für die Erinnerung.

Haben Sie noch Erinnerungen an die Spiele?
Natürlich. Ich habe die Spiele gegen Heidenheim sehr genossen, weil ich ja immer gegen Marc Schnatterer spielen durfte. Marc kannte ich gut, weil wir denselben Berater hatten, und wir hatten dann immer ein kleines Duell laufen.

Frank Schmidt war da schon Trainer des FCH, wie haben Sie ihn wahrgenommen?
Als junger Spieler habe ich auf solche Dinge nicht wirklich geachtet. Aber ich glaube, dass er damals schon sehr nahbar war und eine gute Beziehung zu seinen Jungs hatte.

Und wie schätzen Sie ihn heute ein?
Ich habe großen Respekt vor seiner Arbeit. Wenn man sieht, wie er über diese lange Zeit bei einem Verein so erfolgreich arbeitet, ist das wirklich beeindruckend und spricht für sich. Aus meiner Sicht als Mentalcoach weiß ich nicht, was in der Kabine passiert und wie er mit den Spielern kommuniziert und auf mentaler Ebene arbeitet. Es ist schwierig, das zu bewerten.

Der sportliche Erfolg des FCH in der Bundesliga lässt sich aktuell anhand der Tabelle aber leicht bewerten.
Es ist jetzt das erste Mal für die Heidenheimer, dass sie in so einer Situation sind. Es ging in den vergangenen Jahren nur bergauf. Und jetzt haben sie eine Saison, in der sie zum ersten Mal viele Niederlagen einstecken müssen.

Das wirkt sich sicherlich auch auf den Trainer aus.
Das stimmt. Der Trainer muss sich selbst regulieren, damit er nicht seine eigenen Emotionen und den eigenen Kampf, den er vielleicht innerlich austrägt, auf die Mannschaft überträgt. Er muss versuchen, im Zweifel seine eigenen Emotionen hinten anstellen, um den Spielern genau die Dinge zu geben, die sie in dieser Phase brauchen. Das ist der Spagat eines Trainers, der das Ganze selbst verarbeiten und seinen eigenen Umgang damit finden muss.

Wie überträgt sich die Situation auf die Spieler und deren Leistung?
Das lässt sich nicht pauschal sagen. Es spielt sich sehr viel im Kopf ab, und da ist jeder Spieler anders gestrickt und individuell geprägt. Jeder geht mit der Situation anders um und jeder bewertet sie unterschiedlich. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass jeder Spieler andere Erfahrungen mitbringt und ihn zusätzlich zur Tabellensituation noch ganz andere individuelle Themen beschäftigen können – wie die Vertragssituation, seine Spielzeit oder die eigene Zukunft.

Die Spieler haben selbst davon gesprochen, dass die Situation schwierig für den Kopf ist. Was passiert da auf mentaler Ebene?
Es besteht die Gefahr, dass bei den Spielern Verknüpfungen entstehen. Eigentlich gehen sie gut vorbereitet und mit Selbstbewusstsein ins Spiel. Dann macht der Gegner in den ersten Minuten das 1:0, und alles, was man sich mental zurechtgelegt hat, könnte dadurch unbewusst mental zunichtegemacht werden. Im Unterbewusstsein kann dann der Gedanke entstehen: ‚Egal, was wir investieren, wir können gerade nicht gewinnen.‘ Das hat dann wiederum Auswirkungen auf das Gefühl, welches unser Verhalten beeinflusst. So könnte es passieren, dass der Spieler schnell in dieser Negativspirale gefangen ist.

Im Hintergrund singen sich die FCH-Fans warm: Sven Schimmel schaute beim Auswärtsspiel des 1. FC Heidenheim bei der TSG Hoffenheim genau hin. Sven Schimmel

Wie kann ein Trainer seinen Spielern aus dieser Spirale heraushelfen?
Für ihn ist es wegen des individuellen Umgangs jedes Spielers mit der Situation nicht einfach. Dadurch, dass dieser Prozess im Kopf meist unbewusst abläuft, hilft häufig eine Art Anker oder Zeichen. Zum Beispiel mit einem Pfiff als Signal für jeden Spieler, um kurz in sich zu gehen und diesen Gedankenfluss zu unterbrechen. Das kann aber auch ein Tapestreifen um das Handgelenk jedes Spielers sein, der als Reminder fungiert. Dann kann der Spieler sich daran erinnern, dass er da wieder herauskommen muss. Dafür braucht es Handlungspläne, um mit diesen Situationen zurechtzukommen und die richtigen Antworten zu haben. Welche Dinge sind es, die uns im Spiel herausbringen können? Was kann alles im Spiel passieren, und wie wollen wir dann damit umgehen? Das kann schon im Training simuliert werden.

Welche Tipps zum Umgang mit dem Abstiegskampf würden Sie betroffenen Spielern und Vereinen geben?
Es ist wichtig, sich von dem Begriff ‚Abstiegskampf‘ und der Tabelle zu lösen. Der Druck ist von allein da. Man muss sich wieder auf die kleinen Dinge konzentrieren, von Aktion zu Aktion denken. Es geht darum, sich auf die Faktoren zu konzentrieren, die man selbst kontrollieren kann. Es gilt für alle Spieler, dass sie gemeinsam die typische Heidenheim-Identität leben und diese über alles stellen. Jeder einzelne kann nur durch das Team erfolgreich sein, um seine individuellen Ziele zu erreichen. Doch häufig schaffen es einige Spieler nicht, diesen Transfer herzustellen. Das muss der Trainer gut moderieren. Dafür werden viel Empathie und Kommunikation nötig sein.

In Hoffenheim haben Sie den FCH live im Stadion gesehen.
Ja, ich war vor Ort. Bei der TSG spielt mit Tom Bischof ein Spieler, mit dem wir zusammenarbeiten. Wir versuchen, regelmäßig bei Spielen unserer Jungs dabei zu sein.

Welchen Eindruck hat der FCH in den 90 Minuten bei Ihnen hinterlassen?
Die komplette Überzeugung hat in der ersten Halbzeit ein Stück weit gefehlt. Trotzdem habe ich das Gefühl gehabt, dass diese Mannschaft lebt und sich noch nicht aufgegeben hat. Sie sind in der zweiten Halbzeit aus der Kabine gekommen und haben direkt Druck gemacht. Dass das dann mit so einem Tor belohnt wurde, macht etwas mit der eigenen Überzeugung. Die Heidenheimer waren dem Sieg danach näher als die TSG.

Welche Schlüsse lassen sich aus dem wichtigen Sieg in dem Abstiegsduell gegen Holstein Kiel ziehen?
So wie ich das eben gesagt habe: Die Mannschaft lebt. Und das hat man auch anhand der Körpersprache gesehen. In diesem Spiel ging es gegen einen direkten Konkurrenten und damit um sehr viel. Das Spiel lief zwar ein bisschen für Heidenheim, aber trotzdem muss so eine Partie erst einmal gewonnen werden und mit dieser Überzeugung angegangen werden. Es war eine gute Emotionalität vorhanden. Trotzdem bin ich gespannt, wie die Mannschaft in den letzten Spielen agiert, wenn der Spielverlauf in eine andere Richtung geht.

Wie schätzen Sie die Situation des FCH im Abstiegskampf ein?
Der 1. FC Heidenheim hat als Verein aus mentaler Sicht im Abstiegskampf keine schlechte Ausgangssituation. Obwohl Heidenheim in der Conference League gespielt hat, war die Erwartungshaltung nicht so, dass es wieder nach Europa gehen muss. Seit Saisonbeginn liegt der Fokus darauf, in der Bundesliga zu bleiben. Das Problem liegt bei vielen Vereinen häufig in der Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Realität. Doch auch wegen der sehr knappen Ergebnisse des FCH in diesem Jahr ist aus meiner Sicht noch alles offen. Es geht in die richtige Richtung.