Mit ihren gerade mal 28 Jahren hat Jenny Jessen schon so viel erlebt, dass es locker für drei Leben reichen würde. Sie war erst 13, als sie als Model entdeckt wurde und ihre ersten Aufträge bekam. Drei Jahre später landete sie bei der TV-Castingshow „Das perfekte Model“ auf dem dritten Platz. Die Giengenerin war unter anderem das Werbegesicht für Valensina und auch in TV-Werbespots zu sehen. Eine extreme Welt, in der es ausschließlich um das Äußere, die Optik geht. „Ich war sehr jung und nur auf seinen Körper reduziert zu werden, kann sehr schmerzhaft sein“, sagt Jenny Jessen. „Einem Idealbild nachzueifern und sich ständig mit anderen zu vergleichen, ist nicht gesund.“
,Deine Oberschenkel sind zu dick‘. Das muss man erst mal verarbeiten...
Jenni Jessen, Model
Im Grunde betrifft das alle Frauen, seit dem Erfolg von Instagram und Co. noch viel mehr als früher. Aber wenn man als Model arbeitet, gelten verschärfte Bedingungen. „Man steht mit anderen Mädchen zwei Stunden für ein Casting an und bekommt dann nach einer Minute gesagt: ‚Deine Oberschenkel sind zu dick‘. Das muss man erst mal verarbeiten.“ Sie litt darunter, begann depressiv zu werden und beschloss, ihr Leben radikal zu ändern. Sie begab sich auf eine Reise um die Welt und zu sich selbst. „Statt auf mein Äußeres, wollte ich den Blick nach innen richten“, sagt die 28-Jährige. „Genau das bedeutet auch Esoterik: nach innen schauen.“
Jenny Jessen verbrachte Zeit in Australien, in Indien, Marokko und auf Korfu. Sie sammelte Wissen verschiedener Kulturen, studierte den Buddhismus, den Schamanismus, den Daoismus. Sie lebte zusammen mit indigenen Völkern und erlernte ihre Zeremonien und Rituale. „Viele sind schwer zu erklären, man muss sich erleben“, sagt sie. „Im Grunde habe ich zehn Jahre lang Werkzeuge gesammelt, um mich selbst zu heilen.“
Auf Hängematten und in Schwitzhütten im Regenwald
Komfortabel und bequem war das nicht immer. Mehrere Wochen lebte sie mit amerikanischen Ureinwohnern zusammen im Amazonasregenwald, schlief auf Hängematten und saß in Schwitzhütten – ein Naturritual, das zur Selbstreinigung und Selbstfindung genutzt wird. Einmal verbrachte sie vier Tage lang allein und fastend im Urwald. In Indien lernte sie Meditation und Yoga in einem Ashram, ein klosterähnliches Meditationszentrum, im Himalaya.
Auch mit Reiki, Qigong, Ayurveda und Tantra beschäftigte sie sich auf ihren Reisen. Bei allem geht es um Lebensenergie und inneres Gleichgewicht. Wie auch beim ekstatischen Tanz, bei dem man sich oft stundenlang frei und intuitiv zur Musik bewegt. „Ohne Alkohol oder Drogen, nur aus Lebensfreude“, sagt Jenny Jessen.
Die heilige Gebärmutter
Noch immer reist Jenny Jessen viel um die Welt, aber seit eineinhalb Jahren hat sie ihren Lebensmittelpunkt auf Bali. Die Insel gilt als Hotspot für Esoterik. „Hier habe ich mein Zuhause gefunden“, sagt die 28-Jährige. Und was sie auf ihren Reisen durch alle Herren Länder gelernt hat, möchte sie anderen weitergeben. Insbesondere Frauen. Zu ihren Retreats (der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet „Rückzug“ vom Alltag, eine Art geistige Ruhepause), die sie auf der ganzen Welt abhält, kommen Frauen jeden Alters und jeder Profession. In den Kursen geht es darum, zu sich und seiner Weiblichkeit zu finden und sie anzunehmen. „In anderen Kulturen wird die Gebärmutter verehrt, sie gilt als heiliges Portal und für sie wurden Tempel errichtet. Die Gebärmutter gilt als Kraftzentrum der Frau. Wenn man das annimmt und verinnerlicht, geht man anders durchs Leben.“
Während beispielsweise die Periode einer Frau hierzulande eher ein Tabu-Thema ist, wird die erste Blutung in anderen Kulturen als Zeichen der Fruchtbarkeit und für das Erwachsenwerden gefeiert. „Den Mädchen wird vermittelt, dass die Periode ein Geschenk ist und nicht mit Scham behaftet sein muss“, erklärt Jenny Jessen. „Solche Übergangsrituale helfen, einen Lebensabschnitt abzuschließen und mit neuer Energie den nächsten Abschnitt zu beginnen. Und die Frauen lernen, den Schmerz bewusst zuzulassen und Kraft aus ihm zu schöpfen.“
Verzerrtes Bild von Sexualität
Ihrer Erfahrung nach haben viele Frauen auch ein verzerrtes Bild von Sexualität. „Viele wissen nicht, was sie sexuell wollen. Sie wissen nicht, wie man gesunde Grenzen setzt und wie eine gesunde Beziehung zwischen Mann und Frau funktioniert“, sagt Jenny Jessen. „Dazu kommen Dating-Apps, die uns zu Wegwerfprodukten degradieren. Das ist alles verwirrend und schmerzhaft.“ Um diesen „Schmerz“ zu heilen, veranstaltet sie seit einigen Jahren Women‘s Circles (Frauenkreise). Nicht nur auf Bali, sondern auf Festivals rund um den Globus, Ende Juli und Anfang August kann man sich auch in einem Yoga-Studio in München von ihr zur Frauenkreisleiterin ausbilden lassen.
Simpel ausgedrückt, sind Frauenkreise ein Zusammenkommen von Frauen. „In anderen Kulturen haben solche Kreise einen festen Bestandteil“, erklärt die Giengenerin. „Es geht darum, eine kraftvolle Verbindung untereinander zu schaffen, das eigene Frausein zu leben und gemeinsam zu wachsen. Das ist eine zutiefst heilsame Erfahrung.“ Diese möchte sie gern auch in ihrer alten Heimat verbreiten. Vielleicht, so hofft Jenny Jessen, schon im kommenden Jahr.
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