Krankenhaus I

Brennpunkt Notaufnahme? Das Klinikum Heidenheim und die Uniklinik Ulm arbeiten mit Rückendeckung von Sicherheitsdiensten

Der Ton wird rauer, die Gewaltbereitschaft höher: Das Klinikum Heidenheim und die Uniklinik Ulm arbeiten mit Sicherheitsdiensten, um Mitarbeiter und Patienten zu schützen. Sie machen gute Erfahrungen damit.

Steigende Patientenzahlen, Personalknappheit, die ganze Bandbreite gesundheitlicher Beschwerden: Das ist Alltag in Notaufnahmen. Hier lässt sich nichts planen. Hier ist kein Tag wie der andere. Neben aller medizinischer Arbeit kochen auch mal die Emotionen hoch, der Geduldsfaden reißt. Mehr noch: Patienten und deren Begleiter werden laut, ausfallend – und sogar handgreiflich.

Alles schon geschehen. Auch in Heidenheim. Deshalb wurde bereits seit 2018 an sogenannten Brennpunkttagen Sicherheitspersonal eingesetzt. Und nachdem es zunehmend zu Übergriffen und Eskalationen gekommen war und 2019 zwei Krankenschwestern körperlich attackiert und verletzt worden waren, wurde die Präsenz ausgeweitet. Seitdem ist jede Nacht Sicherheitspersonal vor Ort.

Chefarzt Norbert Pfeufer ordnet die Situation ein

Das hat sich bewährt, wie Norbert Pfeufer, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Heidenheimer Klinikum, bestätigt. Er ist seit 14 Jahren hier, hat die Notaufnahme mit aufgebaut und kann sowohl gefühls- als auch zahlenmäßig einordnen, dass der Alltag in der Notaufnahme ein anderer geworden ist. „Der Ton ist rauer und die Gewaltbereitschaft ist in der gesamten Gesellschaft gestiegen, das spüren wir auch“, sagt er.

Ich wurde schon mit Messer und Schere angegriffen, einer hat seine Schreckschusspistole auf den Tisch gelegt.

Norbert Pfeufer, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme

Da wird es mal lauter, emotionaler und es gibt auch echte Bedrohungssituationen: „Ich wurde schon mit Messer und Schere angegriffen, einer hat seine Schreckschusspistole auf den Tisch gelegt“, erzählt der erfahrene Arzt. Er wird regelmäßig beleidigt, persönlich angegangen. Und angezeigt wurde er auch bereits. „Wir sind stellvertretend schuld an allem, was nicht funktioniert“, erklärt der Chefarzt. Hier oben ist Psychologie gefragt. Feingefühl.

Zunehmende Aggression ist ein bundesweites Bild

Doch Pfeufer will kein akutes Bedrohungsszenario zeichnen: „Die Lage hat sich verschärft über die Jahre, aber wir sind noch in Heidenheim. Kollegen in größeren Städten haben da nochmal anderes zu stemmen.“ Ein Blick in die Zeitungen anderer Städte zeigt: Die Tendenz zur Aggression zieht sich durch die gesamte Republik. „Messer in Berlin, aggressiver Mob in Essen, Randale in Brandenburg“ heißt es etwa in einem Bericht. Und erst kürzlich fiel in der Hauptstadt ein Urteil: Zwei Brüder müssen nach einem Angriff auf einen Arzt und einen Pfleger ins Gefängnis. Der Arzt hatte eine blutende Platzwunde, der Krankenpfleger unter anderem eine Gehirnerschütterung erlitten.

Wir sind stellvertretend schuld an allem, was nicht funktioniert.

Norbert Pfeufer

Das Deutsche Ärzteblatt berichtete schon 2019: „Körperliche Gewalt und Krisensituationen in Notaufnahmen nehmen immer mehr zu.“ Bereits damals gaben in einer Untersuchung der Hochschule Fulda Dreiviertel der Mitarbeiter an Notaufnahmen an, Gewalterfahrungen gemacht zu haben.

Zurück in Heidenheim. Die polizeiliche Statistik seit 2020 zeigt insgesamt niedrige Zahlen und keinen merklichen Anstieg der Delikte am Klinikum. Wohl wissend, dass der Sicherheitsdienst bereits seine Dienste tat, prinzipiell nicht immer die Polizei gerufen wird oder alle Vorfälle und Herausforderungen in eine Statistik einfließen. Pfeufer ordnet ein: „Ich schätze, wir brauchen hier im Schnitt einmal im Monat die Polizei“. Man arbeite gut zusammen.

Eine Regel seit Corona ist daher: Pro Patient maximal ein Begleiter. Das entlastet uns.

Norbert Pfeufer

Der Chefarzt weiß um die Ausnahmesituation, in denen sich Menschen befinden, wenn sie akute Schmerzen haben, Hilfe suchen. Und er weiß auch, dass die ambulante Versorgungslage Lücken aufweist. Deshalb hat er Verständnis, wenn bei längeren Wartezeiten die Emotionen hochkochen. „Die Patienten verstehen oft nicht, wie wir arbeiten“, sagt er. Es gehe nach Dringlichkeit, nicht nach Wartezeit.

Psychiatrie zeigt ihre Auswirkungen

Häufig treten Probleme auf, wenn Menschen alkoholisiert sind oder unter Drogeneinfluss stehen. „Suchtproblematik ist natürlich hier am Klinikum mit der großen Psychiatrie auch ein Thema“, so Pfeufer. Ohnehin schlagen auch psychisch kranke Menschen in der Notaufnahme auf, wodurch wiederum Ausnahmesituationen entstehen können. Pfeufer will verstanden wissen: „Die Menschen können nichts dafür, sie brauchen Hilfe.“ Zudem machen teils Sprachbarrieren Probleme oder auch kulturelle Unterschiede. Alles zusammen sind das Punkte, die die Lage verschärfen. „Eine Regel seit Corona ist daher: Pro Patient maximal ein Begleiter. Das entlastet uns“, so Pfeufer.

Meine Mitarbeiterinnen fühlen sich seither deutlich sicherer.

Norbert Pfeufer

Der Sicherheitsdienst, der nachts in der Notaufnahme vor Ort ist, im Krankenhaus seine Runden dreht und auch für Einsätze auf anderen Stationen rufbereit ist, tut gut. Das Sicherheitspersonal habe allein durch seine Präsenz abschreckende und deeskalierende Wirkung. „Seitdem ist nichts Größeres mehr vorgefallen“, sagt Pfeufer. „Zum Glück.“

Ein Pluspunkt für das allgemeine Sicherheitsgefühl

Auch für das Sicherheitsgefühl insgesamt sei der Dienst ein Pluspunkt. Tagsüber sei genügend Personal da, um Vorfälle zu stemmen. Nachts sei die Lage anders, zumal eben auch viele Frauen am Klinikum arbeiteten. „Meine Mitarbeiterinnen fühlen sich seither deutlich sicherer“, sagt Pfeufer.

Geholfen habe auch ein Deeskalationstraining. Das, so Pfeufer, wolle und solle man unbedingt wiederholen. Einem aggressiven Patienten nie den Rücken zudrehen oder die Tür überlassen, andere Gesprächspartner anbieten, wenn die Situation eingefahren ist. All das kann helfen.

Wie ist es an den Kliniken in Ulm und Aalen?

Am Ostalb-Klinikum Aalen ist aktuell kein Sicherheitsdienst im Einsatz. Seitens eines Sprechers heißt es: „Natürlich sind ein rauer Umgangston, rabiate und teilweise aggressive Patienten und Angehörige auch in den Kliniken Ostalb ein Thema und eine große Herausforderung für unsere Mitarbeitende. Dies kommt leider auf allen Pflegestationen vor. Ein Schwerpunkt sind auf alle Fälle die Zentralen Notaufnahmen der Kliniken.“ Aktuell könne das noch mit eigenem Personal reguliert werden.

Am Universitätsklinikum Ulm ist ein Sicherheitsdienst im Einsatz. Als Brand- und Nachtwache und als Schutz für Mitarbeiter und Patienten in der Notaufnahme. Hier herrsche erfahrungsgemäß ein erhöhtes Konfliktpotenzial, wie es seitens der Uniklinik heißt. Die Anwesenheit des Sicherheitsdienstes wirke deeskalierend. Das Aggressionspotenzial habe zugenommen, das spüre man auch hier. Um die Mitarbeiter für herausfordernden und potenziell gefährlichen Situationen zu schulen, bietet das Uniklinikum den Mitarbeitenden zudem regelmäßige Notwehrkurse an. „Die Kolleginnen und Kollegen lernen präventiv durch ein gezieltes Training Selbstverteidigungstechniken kennen, werden im Umgang mit Konfliktsituationen und Deeskalation geschult und rechtlich aufgeklärt“, lässt das Klinikum wissen.

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