Medizinische Versorgung

Heidenheimer Hausarzt Gert-Michael Gmelin schließt Praxis nach vier Jahrzehnten

Er hat Generationen behandelt, Kinder aufwachsen und Familien zusammen altern sehen: Jetzt hört der Heidenheimer Hausarzt Gert-Michael Gmelin im Alter von 77 Jahren auf. Die Freude über den Ruhestand wird von Sorge überschattet – denn einen Nachfolger gibt es nicht.

Andere Menschen sind in diesem Alter längst im Ruhestand. Doch Gert-Michael Gmelin tickt in dieser Hinsicht anders. Seit 43 Jahren behandelt er Menschen in der Hausarztpraxis an der Giengener Straße, die er 1982 von Dr. Rössner übernommen hat. Einige seiner Patienten hat er von seinem Vorgänger übernommen und behandelt sie bis heute.

Dass er nun die Praxis schließt, hat nichts mit dem Gedanken an Ruhestand zu tun. Denn nicht das Alter, nachlassender Elan oder fehlende Empathie für die Patienten haben ihn zum Aufhören bewogen – „die Arbeit mit Menschen ist das, was mich glücklich macht“ –, sondern der Verkauf des Gebäudes, in dem sich seine Praxis befindet. Der neue Eigentümer benötigt die Räume selbst. Das war dann schließlich der Punkt, um adieu zu sagen.

Ein letztes Glas im Stehen: Abschied von den Patienten

Auf dem Empfangstresen liegt ein Brief aus, adressiert an die Patientinnen und Patienten: „Irgendwann geht alles zu Ende. Dieses geschieht am Montag, den 30. Juni 2025“, steht da in großen Buchstaben. Tatsächlich wird es ein „letztes Glas im Stehen“ geben. Wie viele Patienten dazu kommen werden, wisse er nicht. „Doch nach all den Jahren sang- und klanglos aufhören, das will ich nicht machen.“

Doch von wegen Ruhestand: So ganz als Arzt verabschieden wird sich Gmelin nicht. Ab Sommer werde er bei einem Kollegen in Heidenheim weiterarbeiten, um Engpässe abzufedern und ihn in Urlaubszeiten zu vertreten. Welche Praxis das sein wird, will er noch nicht verraten, da es noch ein paar organisatorische Dinge zu klären gebe.

Weitere Lücke in der hausärztlichen Versorgung in Heidenheim

Die Lage der hausärztlichen Versorgung im Landkreis Heidenheim ist seit Jahren angespannt und wird durch das Ende von Gmelins Praxis noch schwieriger. Der 77-Jährige hat eine Liste geführt: Acht Hausarztpraxen haben in den vergangenen zehn Jahren allein in Heidenheim geschlossen. Auch seine Patienten seien in Sorge, berichtet Gmelin, einen neuen Hausarzt zu finden.

Eine mögliche Lösung sieht Gmelin in der Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ). Gemeinsam mit interessierten Kolleginnen und Kollegen würde er gerne ein solches Projekt realisieren – auch er selbst könnte sich vorstellen, dort tätig zu sein. „Aber dafür bräuchte es geeignete Räumlichkeiten mit mindestens 250 Quadratmetern. Und die gibt es nicht“, sagt er. Deshalb sei er bereits im Sommer 2024 bei Oberbürgermeister Michael Salomo vorstellig geworden, um ihn zu bitten, ihn bei der Standortsuche zu unterstützen. Das Gespräch sei freundlich gewesen, doch seitdem habe er nichts mehr gehört.

Pläne für ein Medizinisches Versorgungszentrum

Dennoch tut sich etwas in Sachen MVZ: Laut Alexander Bieg, Abteilungsleiter Versorgungstrukturen MVZ, soll im Januar 2026 ein MVZ seine Pforten öffnen. Der Medi-Verbund, ein Zusammenschluss niedergelassener Ärzte, arbeite mit zwei Einzelpraxen und einem Ärzteehepaar in einer Gemeinschaftspraxis zusammen, alle hausärztlich tätig. Die Gemeinschaftspraxis könne ins MVZ eingebracht werden. Zudem soll eine zweite Betriebsstätte eingerichtet werden. Doch bevor dies Realität wird, gibt es im Sommer einen praktizierenden Allgemeinarzt weniger.

Gmelins beruflicher Werdegang

Dass Gmelin nach seinem Studium in Freiburg und seiner Tätigkeit im Badischen überhaupt wieder zurück in die Nähe seines Geburtsortes Herbrechtingen gefunden hat, war eine Verkettung vieler Zufälle. Denn ursprünglich wollte Gmelin Apotheker werden und arbeitete – weil das damals Voraussetzung für ein Pharmazie-Studium war – zwei Jahre lang in einer Apotheke in Endersbach und wurde vorexaminierter Apothekenanwärter. Anders entschieden hat er sich jedoch, weil sich die Arbeit damals von der Herstellung von Medikamenten hin zum Verkauf verlagerte.

Im Medizinstudium hatte es ihm die Chirurgie angetan, doch den ganzen Tag im OP zu stehen, konnte er sich nicht vorstellen und blieb breit aufgestellt. Dennoch machte er in seiner Praxis bis vor Kurzem noch kleine chirurgische Eingriffe, zum Beispiel bei Hautmetastasen, und hatte dafür ein OP-Zimmer eingerichtet. „Die Allgemeinmedizin ist die Königsdisziplin der Medizin“, sagt er. Man müsse nicht alles bis in die Tiefe können, aber wissen, in welche Richtung die Beschwerden gehen.

Die Kunst der Diagnose

So hat er zum Beispiel bis heute zu einem Patienten Kontakt, der an einem heißen Sommertag nach einer langen Autofahrt bei offenem Fenster zu ihm gekommen sei – mit Schmerzen an der Schulter und der Bitte um eine Schmerzspritze. Doch Gmelin sah dem Mann ins Gesicht und schickte ihn schnellstmöglich in die Klinik: Dort wurde er kurz später wegen eines Herzinfarkts operiert. „Wenn es darum geht, die Ursachen von Beschwerden zu erforschen, wird es spannend.“

Gert-Michael Gmelin im Wartezimmer. Dort sticht ein großer Druck ins Auge: ein Satz von Thure von Uexküll, Mitbegründer der psychosomatischen Medizin. Rudi Penk

Gmelin kennt viele solcher Geschichten, auch viele, deren Ursache nicht in einem körperlichen, sondern psychischen Leiden lag: Magengeschwüre aufgrund von Stress, schwere Lendenwirbelschmerzen wegen familiärer Probleme, Kopfschmerzen wegen verbissener Lebenseinstellung. „Menschen leben oftmals psychologische Probleme über den Körper aus. Das muss man begriffen haben und erkennen.“

Persönliche Verbindungen zur Waldorfschule

Der Hauptgrund für den Umzug nach Heidenheim war neben der freien Arztpraxis die Nähe zur Waldorfschule. Auch wenn alle vier Kinder der Schule schon lange entwachsen sind, hat Gmelin bis heute Kontakt dorthin. Seit 15 Jahren spielt er zum Beispiel beim Weihnachtsspiel mit, als einer der drei Weisen. Im Verein für Fördermaßnahmen ist er Gründungsmitglied. Und auch in der Kantine ist er ein regelmäßiger Gast.

Gmelin war Student in der Zeit der 1968er-Bewegung, die ihn in seinem Denken bis heute prägt. Das zeige sich auch an seinem Patientenstamm. „Jeder hat seine Klientel, die zu einem passt.“ Ein Sprengelarzt sei er nie gewesen, sondern habe meist Patienten von außerhalb des Wohngebiets gehabt. Viele seiner Patienten hätten ausländische Wurzeln. „Bei mir war die halbe Welt in der Praxis“, sagt er. Womöglich auch, weil er selbst viel und gern reist, vor allem in den Nahen Osten. „Vielleicht verstehe ich diese Mentalität besser.“ Und weil seine Praxis unweit der Asylbewerberunterkunft an der Walther-Wolf-Straße liegt, behandelt er auch viele Bewohner von dort.

Kritik an Genehmigungspraxis bei der medizinischen Betreuung von Asylbewerbern

In einem Brief an Landrat Peter Polta beschreibt Gmelin die seiner Ansicht nach verschärfte Genehmigungspraxis bei der medizinischen Behandlung von Asylbewerbern. Der Arzt berichtet von Fällen, in denen seiner Einschätzung nach notwendige Medikamente oder Überweisungen zu Fachärzten nicht mehr genehmigt würden.

Als Beispiele nennt er die Ablehnung eines Blutdrucksenkers sowie die Verweigerung einer Überweisung einer Patientin mit Multipler Sklerose an einen Neurologen. Die Patientenversorgung werde so erheblich erschwert, schreibt Gmelin. Er äußert den Verdacht, dass hinter der Praxis ein politisches Umdenken im Umgang mit Geflüchteten stehen könnte. Die bisherige Zusammenarbeit mit dem Landratsamt beschreibt er als stets fair und gut – bis sich die Lage vor wenigen Wochen plötzlich verändert habe.

Das Landratsamt Heidenheim erklärte auf Anfrage, es habe keine gesetzlichen Änderungen gegeben. Entscheidungen über Genehmigungen träfen die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes, ein Ermessensspielraum bestehe nicht. Bei medizinischen Fragen werde das Gesundheitsamt hinzugezogen.

Gmelin berichtet von einem klärenden Gespräch mit dem Sozialdezernenten Matthias Schauz, das ihn hoffnungsvoll gestimmt habe. Dennoch erhielt er vor einer Woche erneut eine Ablehnung, als er einen Asylbewerber mit entzündetem Ohr zu einem HNO-Spezialisten überweisen wollte.

Die medizinischen Behandlungskosten für Geflüchtete im Landkreis beliefen sich im vergangenen Jahr auf rund 1,07 Millionen Euro; für 2024 werden etwa 1,18 Millionen Euro erwartet. Der Großteil dieser Ausgaben werde vom Land erstattet.