Die Bühne ist klein, schwarz und wird im Laufe der Handlung immer bedrohlicher. Für die Aufführung des Jugendstückes „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ nutzen die zwölf Darstellerinnen und Darsteller im Alter von 14 bis 21 Jahren den gesamten Raum des Theatercafés im Naturtheater. Die Figuren wechseln immer wieder die Standorte, vertreten ihre Argumente einzeln und in den verschiedensten Gruppierungen, sind sehr laut oder sehr leise bei dem fortwährenden Versuch, Bedeutung im Leben zu finden.
Alles beginnt mit dem Siebtklässler Pierre Anthon in der fiktiven Kleinstadt Tæring, der eines Tages verkündet, nichts im Leben habe Bedeutung, und fortan auf einem Pflaumenbaum lebt. Seine Mitschüler sind entsetzt und versuchen, ihm und auch einander Dinge von Bedeutung aufzuzählen. Aber weder ihre Argumente noch der gewaltvolle Versuch, Pierre Anthon vom Baum herunterzubekommen, überzeugen den Außenseiter. „Nichts bedeutet irgendetwas. Alles ist egal. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob.“
Aus Verunsicherung der Mitschüler wird Aggression
Seine Worte führen bei den Mitschülern erst zu Verunsicherung, dann zu immer größerer Aggression. Die elf Siebtklässler beschließen, in einem alten Sägewerk einen „Berg aus Bedeutung“ zusammenzutragen, mit dem Ziel, Pierre Anthon von seinem Irrtum zu überzeugen. Während die folgende Handlung immer mehr eskaliert, sitzt über den Zuschauern selbstzufrieden beobachtend Pierre Anthon. Allein schon dies erzeugt eine fortwährend unangenehme Atmosphäre, die im Verlauf der Handlung immer deutlicher zu spüren ist. Der Wettbewerb, dem Berg aus Bedeutung etwas immer noch Wertvolleres, für den Gebenden noch Schmerzlicheres hinzuzufügen, beginnt scheinbar spielerisch und entwickelt sich zu einer unaufhaltsamen Spirale der Gewalt.
Die sich steigernde Gewalt wird auf eine Weise dargestellt, dass den Zuschauerinnen und Zuschauern immer mehr die Luft wegbleibt. Das Beunruhigende ist, dass man die einzelnen Argumente nachvollziehen kann und es schwerfällt zu sagen, zu welchem Zeitpunkt und ob überhaupt man selbst ausgestiegen wäre.
Die Gruppendynamik hält das Publikum in Atem
Die Gruppendynamik, die Wandlung der zuvor selbst Verletzten zu zutiefst bösartigen Jugendlichen und die minimalistische, mit vielen hintergründigen Details beeindruckende Inszenierung halten das Publikum bis zur letzten Minute in Atem. Eine glaubwürdige und sehr verstörende Parabel nicht nur über Jugendliche, sondern existenziell über das, was im Leben zählt.
Einige der Darstellerinnen und Darsteller haben schon so manches Stück auf die Bühne gebracht und ihr Können unter Beweis gestellt. Doch was diese jungen Menschen in „Nichts“ an schauspielerischem Ausdruck, an Wandlungsfähigkeit, an feinster Mimik und verstörender Aggression auf der Bühne zeigen, ist absolut beeindruckend. Am Ende gab es einen Riesenapplaus für die Darsteller und das junge Regieteam: Sara Boger, Josephine Eckle und Julian Törke. Was aus einem Theaterworkshop in nur sechs Wochen intensiver gemeinsamer Arbeit entstand, ist schlicht herausragend.
„Nichts“ lässt für die Zukunft des Naturtheaters keine Wünsche offen. Man kann es nicht erwarten, weitere Produktionen dieser jungen Menschen zu erleben.
Es gibt noch weitere Vorstellungen im Theatercafé
Zwei weitere Aufführungen von „Nichts“ sind noch im Café des Naturtheaters zu erleben: am kommenden Freitag und Samstag, 11. und 12. April, jeweils um 20 Uhr. Karten können per E-Mail an vorverkauf@naturtheater.de reserviert werden. Der Eintritt erfolgt auf Spendenbasis. Ein Besuch mit kleinen Kindern ist wegen der Gewaltszenen nicht zu empfehlen.
Der Roman „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ ist ein Jugendbuch der dänischen Autorin Janne Teller. Das Buch löste in Dänemark einen Skandal aus und war zeitweise an dänischen Schulen verboten. Andererseits wurde Teller mehrfach für ihr Werk ausgezeichnet. Der Roman wurde inzwischen verfilmt und wird an vielen deutschen Schulen in der 9. oder 10. Klasse im Unterricht behandelt.