Claus Dieter Naumann sitzt im Auto und lenkt den Flugzeugrumpf auf seinem Anhänger gekonnt rückwärts in Position. Ehrhart Zschocke hat sich auf einer kleinen Anhöhe postiert, um das Ganze mit seiner Kamera festzuhalten. Auf dem Schulhof des Heidenheimer Schiller-Gymnasiums sind heute die Mitglieder der Fliegergruppe Heidenheim/Steinheim am Werk – sie nennen es scherzhaft ihren „Almabtrieb“, sprich: Alle Flugzeuge müssen für den Winter in die Werkstatt des Vereins gebracht werden, die unterhalb der Turnhalle versteckt liegt und zu der man über steile, breite Betonstufen Zutritt bekommt.
Es ist nur ein kleiner Eingang, der ein paar Stunden später, mit einem Gitter verdeckt, nicht mal mehr als solcher zu erkennen ist. Gleichzeitig aber ist es der Zugang zu einer großen Welt - einer Welt, in der Zschocke und Naumann schon seit ihrem Jugendalter zu Hause sind.
„Ich war Tag und Nacht in dieser Werkstatt“, erzählt Naumann, nachdem er aus dem Wagen gestiegen ist und sich versichert hat, dass seine Hilfe gerade nicht gebraucht wird. So steht unter der Erde, in einem kleinen abgetrennten Raum, sogar noch die Drehmaschine, an der er gelernt hat. „Werkzeugmacher bei Siemens“, sagt er, eine Lehre, die ihm weit mehr gelegen hat als der schulische Weg am Hellenstein-Gymnasium. „Da bin ich auf die Nase gefallen“, gibt er zu und lacht.

Basteln mit Butterbrotpapier
In der verborgenen Werkstatt hat er an richtigen Flugzeugen gebastelt, zuvor aber waren es Modellflieger, die es ihm angetan hatten. Stundenlang konnte Naumann sich damit beschäftigen, hat mit Butterbrotpapier Tragflächen bespannt.
Zschocke fand auf einem anderen Weg zur Fliegerei, genauer auf einem Waldweg. „Wir haben damals in Königsbronn gelebt und am Wochenende war ich immer in den Wäldern unterwegs. Eines Tages bin ich oben in Steinheim herausgekommen und habe die Schäfhalde gesehen. Seitdem bin ich dabei“, erzählt der 81-Jährige. Das war 1957, ist also sagenhafte 63vJahre her. Naumann, heute 82Jahre alt, trat der Gruppe 1953 bei.
Nicht nur die Fliegerei eint die beiden. Auch die Tatsache, dass sie den Großteil ihres Lebens deshalb in Heidenheim verbracht haben, weil ihre Familien geflohen sind. So kommt Naumann eigentlich aus Berlin, Zschocke aus Dresden - und am wohlsten fühlen sich beide wohl in der Luft.
„Das Wunderbare ist die Kraft der Sonne“, beschreibt Zschocke. „Wir lassen uns mit der Winde auf etwa 300Meter nach oben ziehen, danach suchen wir Aufwind.“
Um es kurz zu erklären: Die Sonne erhitzt die Luft am Boden, die dann nach oben steigt, man spricht hier von Thermik, und diesen Luftschlauch nutzen die Segelflieger, um nach oben zu kommen. „Das ist erklärbar, trotzdem ist die Sonne für mich das Wunder überhaupt“, so Zschocke. Er habe auch viel Anderes in seinem Leben gemacht - Skifahren, Fallschirmspringen, Klettern -, aber nur beim Fliegen sei er „richtig hängengeblieben“.
Als Lehrer nicht so streng
Diese Leidenschaft haben Zschocke und Ehrhart in den vergangenen Jahrzehnten etlichen Flugschülern vermittelt. Zu sehen, wie sich die Schüler entwickeln, hat sie angetrieben. „Die Selbstständigkeit der Schüler ist ungeheuer wichtig, sie müssen wissen, dass sie selbst handeln können“, betont Zschocke. „Deshalb bin ich auch einer, der nicht so streng ist“, verrät er. Seine Fluglehrerlizenz hat er bis 2023 verlängert, danach sei aber Schluss, sagt er heute.
Für Naumann kommt dieser Schritt schon etwas zeitiger, er hört dieses Jahr auf. „Ich würde es bis 100 machen, mir fehlt auch nichts. Aber ich kümmere mich jetzt noch mehr um meine Familie“, sagt er. Damit schließt sich für ihn der Kreis, hat er schließlich einst seinen Fluglehrerausweis als Hochzeitsgeschenk bekommen. „Der Anhänger mit einem Flugzeugrumpf darauf war an einen Mercedes gekoppelt und ich musste meine Frau ins Flugzeug heben“, erinnert er sich genau und vor allem gerne daran. Fast schon erstaunlich, dass weder seine noch Zschockes Kinder zur Fliegerei gefunden haben.
Überhaupt wäre es den beiden wohler, es gäbe mehr Nachwuchs in der Fliegergruppe. Laut Zschocke fehlt es vor allem an Mitgliedern mittleren Alters und bei den Schülern sei es schwer, sie zu halten. „Sie lernen bei uns, aber danach sind sie weg. Wir haben eben nur diesen Windenschlepp und keinen Flugzeugschlepp“, bedauert Zschocke. Außerdem, so sagt er, verfügen die jungen Leute heute über mehr Geld als damals, kaufen sich damit ihr eigenes Flugzeug und fliegen an größeren Flugplätzen los.
Zschocke und Naumann sind der Schäfhalde immer treu geblieben. Unterwegs aber waren sie bei Weitem nicht nur hier in der Gegend, sondern überall auf der Welt. Mit Sauerstoff ausgerüstet flog Naumann viermal über den Mont Blanc und wenngleich es etwas anderes ist, kommen bei beiden jede Menge Flüge in normalen Maschinen hinzu, weil von Berufswegen her viele Reisen anstanden.
„Ich war oft im Ausland, in Afghanistan oder in Äthiopien und weiß deshalb, wie gut es uns in Deutschland geht. Dafür bin ich dankbar“, sagt Zschocke, der bei Zeiss eine Ausbildung zum Feinoptiker absolviert hat, ehe er alle mechanischen Abteilungen durchlief und auch die technische Hochschule besuchte.
Veränderungen von oben
Überschneidungen zwischen seinem Beruf und der Fliegerei gab es durchaus, als Beispiel nennt Zschocke die Herstellung von Luftbildkameras. „Von oben sieht man vieles besser, vor allem, was sich alles verändert“, ist er davon fasziniert.
Trotz ihrer fordernden Jobs - Naumann war als Ausbildungsleiter auch beruflich in der Lehre tätig - waren Zschocke und Naumann immer für die Fliegergruppe da - nicht nur als Lehrer. Naumann ist auch Werkstattleiter, Zschocke ist bis heute Fallschirmpacker. Was sie besonders schätzen, ist die Gemeinschaft im Verein, wie Zschocke hervorhebt: „Alleine geht es beim Fliegen nicht.“