Krankenhaus II

Wann komm’ ich endlich dran? Chefarzt Norbert Pfeufer zu Herausforderungen in der Notfallmedizin

Wer in die Notaufnahme kommt, hat teils mit langen Wartezeiten zu rechnen. Chefarzt Norbert Pfeufer erklärt, woran das liegt – und kritisiert Missstände im System.

Norbert Pfeufer ist seit 14 Jahren als Arzt in Heidenheim tätig. Er hat die Zentrale Notaufnahme mit aufgebaut und leitet diese seit Beginn. Er weiß um Spannungsfelder und Herausforderungen in der Notfallmedizin – und gibt Einblicke.

Herr Pfeufer, die Notaufnahme gerät immer wieder in den Fokus öffentlicher Diskussionen. Die Patienten klagen über lange Wartezeiten. Mancher findet sie untragbar.

Ja, lange Wartezeiten sind hier mitunter üblich. Wir sind auch in einer Notaufnahme. Sprich, hier schlagen täglich viele Patienten auf, die in einer objektiven oder subjektiven Ausnahmesituation sind. Wir wissen nie, was auf uns zukommt und müssen entsprechend handeln. Das erfordert ein kluges Management. Was die Patienten oft nicht verstehen: Wir arbeiten nach Dringlichkeit. Sprich, wir arbeiten nicht die wartenden Patienten der Reihe nach ab, wir reagieren nach Indikation. Das kann Wartezeiten mit sich bringen. Die Patienten können aber immer sicher sein: Wir übersehen niemanden – und haben alle auf dem Schirm.

Die Notaufnahmen sind voll. Da ist Heidenheim keine Ausnahme. Tendenz steigend?

Vergangenes Jahr haben wir über 36.000 Patienten gesehen, das ist ein neuer Höchststand. Dieser Anstieg hat mehrere Gründe.

Die wären?

Zum einen sehen wir hier die Auswirkungen des Versagens unseres ambulanten Gesundheitssystems. Viele finden keinen Hausarzt, geschweige denn einen Facharzt. Logisch, diese Patienten schlagen bei uns auf, wo sie vielleicht per se bei uns nicht richtig sind. Zudem haben wir einfach noch immer so eine gewisse Rundum-Sorglos-Mentalität in Deutschland. Die Patienten meinen, wenn sie in die Notaufnahme kommen, wird schnell ein Rundum-Check gemacht oder sie erhalten Untersuchungen, für die sie ambulant lange warten müssen. Das können wir in Anbetracht der hohen Zahlen und der fehlenden Gegenfinanzierung durch die Krankenkassen nicht leisten. Und: Wir spüren den Verlust des gesunden Menschenverstands, wenn ich das so konkret sagen darf. Wir verstehen Verunsicherungen und Ängste. Aber wegen eines Zeckenbisses muss man nicht in die Notaufnahme.

Da gibt es sicher Unterschiede zwischen den Generationen.

Ja, unbedingt. Wir sehen die vielen älteren Menschen, die oft viel zu spät zu uns oder zum Arzt im Allgemeinen kommen. Das ist die Generation, die niemandem zur Last fallen will, die keine Umstände machen will. Und dann sind da viele Junge, die Situationen nicht mehr einschätzen können, die oft hilflos sind und jetzt und sofort eine Behandlung wollen. Das ist eine unheimliche Schere. Und hier sehen wir vielleicht auch den Wegbruch der Mehrgenerationenhäuser – da geht unheimlich Lebenserfahrung verloren.

Bei den Menschen herrscht vielleicht auch Verunsicherung. Wann soll man denn in die Notaufnahme kommen und wann unbedingt nicht?

Ich möchte das nochmal klarstellen: Wir haben einen Versorgungsauftrag und den erfüllen wir auch. Sprich: Wir sind da und helfen, wenn es jemandem schlecht geht. Aber: Dringend in die Notaufnahme oder gar ein Fall für den Rettungswagen sind Menschen, die offene Wunden haben, Brüche, unter Atemnot leiden, akute Bauchschmerzen haben, die Stechen in der Brust haben oder neurologische Auffälligkeiten. Nicht in die Notaufnahme gehören etwa chronische Rückenschmerzen oder Zeckenbisse, um nur zwei Beispiele zu nennen.

So mancher hat Sorge um die Gesundheitsversorgung im Land. Sie haben es gesagt: Die Hausärzte sind voll, manche Fachärzte gehen nicht mal mehr ans Telefon. Gibt es einen Hoffnungsschimmer?

Das System krankt. Nicht erst seit gestern. Wir haben einen immensen Fachkräftemangel, Praxen schließen und finden keinen Nachfolger. Das ist Realität. Da muss sich politisch was tun. Fakt ist: Die All-Inklusive-Versorgung in Deutschland ist vorbei. Daran müssen wir uns gewöhnen.