25 Jahre «Truman Show»: Kaum ein Film war so hellseherisch
«Guten Morgen!», grüßt Truman Burbank fröhlich die Nachbarn. «Oh, und falls wir uns heute nicht mehr sehen: Guten Tag, guten Abend und gute Nacht!» Er ist ein Sonnenschein, dieser von Jim Carrey dargestellte Versicherungskaufmann im idyllischen Insel-Örtchen Seahaven. Doch bald wird der Glückselige erfahren, dass sein ganzes Leben seit 30 Jahren nur eine Lüge ist, die weltweit Millionen als Realityshow und Soap-Opera im Fernsehen verfolgen.
Vor 25 Jahren kam der Film «Die Truman Show» des australischen Regisseurs Peter Weir in deutsche Kinos (12.11.). ZDFneo zeigt ihn am 10. November, zum Streamen ist er etwa bei Paramount+ verfügbar.
Der Streifen, der aus der Zukunft zu kommen schien, läutete 1998 ein neues Zeitalter ein. Die Mediensatire (Drehbuch: Andrew Niccol) wirkt heute wie ein Vorbote auf viele aktuelle Phänomene.
Als «The Truman Show» 1996/97 in Florida und in Studios in Südkalifornien gedreht wurde, steckte das Reality-TV eigentlich noch in den Kinderschuhen. Das niederländische Fernsehformat «Big Brother» zum Beispiel, bei dem gewöhnliche Menschen mehrere Wochen ein von Kameras überwachtes Haus teilen, startete erst 1999, in Deutschland dann als Franchise Anfang 2000 (damals zuerst bei RTLzwei).
Teilnehmer bei Reality-Formaten zeigen inzwischen meistens ein Maß an Performativität, weil sie von den Kameras wissen. Darin unterscheiden sie sich natürlich vom unbedarften Truman.
So ist die Wirklichkeit von Truman aufgebaut
Im Film wird nach und nach erklärt, wie die Welt von Truman, der seit seiner Geburt unwissend in einem gigantischen Studio lebt, konstruiert ist. Er wurde von der Produktionsfirma adoptiert, Familie und Freunde sind alle Schauspieler, die auch Produktplatzierungen vornehmen müssen. Rund 5000 installierte Kameras dokumentieren Trumans Leben rund um die Uhr für Hunderte Millionen Fans.
Was jenseits des Inselufers geschieht, interessiert niemanden in dem Ort: «Wer braucht schon Europa?», titelt zum Beispiel eine Fake-Zeitung. Truman wurden, damit er nicht übers Wasser wegwill, ethisch höchst bedenkliche Traumata zugefügt, etwa mit dem angeblich von ihm verschuldeten Tod seines Vaters auf See.
Dirigiert wird die Kunstwelt von Christof (Ed Harris), dem größenwahnsinnigen Schöpfer der Dauerserie. Es sei uns langweilig geworden zuzusehen, wie Schauspieler uns falsche Gefühle vermitteln, sagt der TV-Mann, der im Studio sogar die Macht hat, die Sonne aufgehen zu lassen. Auch wenn Trumans Welt gefälscht sei, so sei an Truman selbst nichts Falsches, sagt er.
Eines schicksalhaften Tages aber beginnen die Lügen für Truman zufällig zu bröckeln, etwa wenn ein Scheinwerfer vom «Himmel» fällt, Truman seinem «toten» Vater begegnet oder es sehr seltsam regnet, nämlich nur punktuell über ihm. Truman wird skeptisch («Ich hab das Gefühl, die ganze Welt dreht sich um mich») und droht das Spiel zu durchschauen. Christof muss um sein zynisches Lebenswerk bangen.
Nach dem Film ist eine psychische Störung benannt
Die Resonanz des Films über die Totalüberwachung eines Individuums zeigte sich ein paar Jahre später zum Beispiel in der Medizin und Psychiatrie, in der Wissenschaftler vom Truman-Syndrom sprechen. Menschen mit Truman-Wahn sind davon überzeugt, dauerhaft von versteckten Kameras (zur Unterhaltung anderer) gefilmt zu werden.
Regisseur Weir betonte kürzlich gegenüber BBC Culture, dass der Film auch von einer grundlegenderen Paranoia handle. Als er Schauspieler getroffen habe, die für den Film vorsprachen, erzählten ihm einige, dass sie sich mit Truman identifizierten, weil sie sich in ihrer Jugend «wie ein Betrüger fühlten, um den alle herum schauspielerten».
Der Film hallt auf vielen Ebenen nach
Die vielschichtigen Themen des Films sind in den Folgejahren in Kultur und Gesellschaft angekommen - mit Realityshows und Dokusoaps im Fernsehen, aber auch auf anderer Ebene nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Neue Gesetze erlaubten Staaten zur Terrorismusbekämpfung mehr Überwachung. Seitdem wuchs bei vielen eine Angst vor dem Verlust der Privatsphäre. Überwachung wurde in den Folgejahren dank Milliarden Handys auch möglicher - und zwar sowohl für Sicherheitsapparate als auch Konzerne.
Massenvoyeurismus wie im Film erfasste die ganze Welt außerdem spätestens in der Social-Media-Kultur. Heute fühlen sich viele so, als würden sie für ein Publikum und zur Unterhaltung anderer leben. Dank Online-Plattformen wie X (früher Twitter), Instagram, Facebook, Tiktok können wir jetzt alle per Online-Identität zu Trumans werden.
«Die Truman Show» befasst sich zudem mit der philosophischen Frage, was wir als real verstehen. Christof verkündet dazu: «Wir akzeptieren die Realität der Welt, die uns präsentiert wird. So einfach ist das.»
In den sozialen Medien werden wir aber eben mit einer Realität konfrontiert, die in vielerlei Hinsicht orchestriert ist. Die Welt, die Christof erschuf, ist Trumans Wahrheit. Wir alle befinden uns auch in Echokammern einer eigenen Wahrheit. Die Unklarheit darüber, was echt ist, scheint dabei immer größer zu werden - man denke 2023 zum Beispiel an die von Künstlicher Intelligenz generierten Bilder.
Am Ende steht Trumans Selbstermächtigung
Der Film von 1998 endet damit, dass Truman aus der eigens für ihn gebauten Stadt mit einem Segelboot zu fliehen versucht. Christof versucht, das Boot durch einen künstlich erzeugten Sturm zum Kentern zu bringen. Doch Truman erreicht schließlich die Wand der Himmelskuppel. Er entdeckt eine Fluchttreppe und eine Tür ins Dunkle - eigentlich genau das Gegenteil von einem Licht am Ende des Tunnels.
Christof spricht wie ein Gott zu Truman und beschwört ihn, in Seahaven zu bleiben. In der wirklichen Welt werde er nicht mehr Wahrheit finden als in seiner künstlichen Heimat. Doch Trumans Überdruss und die Neugier siegen. Er wählt den Ausgang.
Wer hätte an Trumans Stelle auch den Mut, all den Illusionen zu entfliehen?