Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, hofft, dass sich die bundesweiten Proteste gegen rechts auch im Alltag niederschlagen. Die Sorge vor Rechtsextremismus sei in der Mehrheit der Gesellschaft angekommen, sagte die Staatsministerin dem digitalen Medienhaus Table.Media angesichts der starken Beteiligung an den Demonstrationen. Wichtig seien aber jetzt zwei Dinge. «Zunächst müssen wir die Perspektive der Betroffenen verstehen, sie ermutigen und ihnen vor allem zeigen, dass Solidarität jetzt nicht nur bei ein paar Wochen bleibt. Dann müssen wir dafür sorgen, dass sich die Solidarität der Proteste auch im Alltag zeigt», sagte Alabali-Radovan.
Sie wünsche sich, dass jede und jeder Einzelne mit der Familie, im Freundeskreis oder im Verein aktiv ins Gespräch gehe und bei Rassismus und Verschwörungstheorien einschreitet: «Sich der Konfrontation stellen, auch wenn es manchmal zwischenmenschlich schwierig wird», sagte sie.
Am 10. Januar hatte das Recherchezentrum Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter berichtet, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen am 25. November nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. Laut Correctiv nannte Sellner drei Zielgruppen: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und «nicht assimilierte Staatsbürger».
Hunderttausende gegen rechts auf der Straße
Seit den Enthüllungen gehen bundesweit Menschen gegen rechts auf die Straße. Am vergangenen Wochenende waren es wie am Wochenende zuvor Hunderttausende in vielen großen, aber auch kleineren Städten. Allein in Düsseldorf waren laut Polizei am Samstag etwa 100.000 Menschen auf die Straße gegangen. In Hamburg waren es am Sonntag nach Polizeiangaben rund 60.000 Menschen, die Bewegung Fridays for Future als Mitveranstalter sprach gar rund 100.000 Menschen. In Dutzenden weiteren Städten beteiligten sich Menschen vielfach zu Tausenden an den Protesten, die sich auch gegen die AfD richteten.
Im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis verlor die AfD trotz eines deutlichen Vorsprungs im ersten Wahlgang die Stichwahl. Der CDU-Kandidat Christian Herrgott setzte sich am Sonntag mit 52,4 Prozent der Stimmen gegen AfD-Mann Uwe Thrum mit 47,6 Prozent durch, wie der Landeswahlleiter mitteilte. Die AfD hatte in dem Landkreis auf das bundesweite zweite Landratsamt nach Robert Sesselmann in Sonneberg, ebenfalls in Thüringen, gehofft. In Thüringen und im Saale-Orla-Kreis mobilisierten Initiativen gegen die Wahl Thrums.
In Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden im September die Landtage neu gewählt. In allen drei Bundesländern ist die AfD in Umfragen derzeit stärkste Kraft.
Demonstrationen auch in kleinen Städten
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sieht sich ermutigt durch die anhaltenden Proteste gegen rechts. «Die Demonstrationen machen Mut - im ganzen Land, aber vor allem auch in Ostdeutschland», sagte die aus Thüringen stammende Grünen-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). «Dort haben wir 1989 die Demokratie erkämpft, jetzt gilt es, sie erneut zu verteidigen.» Göring-Eckardt fügte hinzu: «Nicht nur in den großen Städten, sondern auch in ganz vielen kleineren Orten stehen die Menschen auf. Manch einer beteiligt sich hier zum ersten Mal an einer Demo.»
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff (CDU) bezeichnete die Proteste gegen Rechtsextremismus als «etwas Großes», das ihn tief beeindrucke. Auch Menschen, die im Alltag politisch konkurrierten, zeigten sich geeint «durch den Ernst der Lage», sagte Wulff dem «Tagesspiegel». Nie wieder dürfe eine Minderheit in Deutschland alleine bleiben, wenn sie bedroht werde. Wulff attackierte zugleich die AfD. Die Partei agiere in großen Teilen gegen die Menschenwürde, den Rechtsstaat, die Demokratie. Sollte die AfD an Einfluss gewinnen, würde das nicht nur Minderheiten massiv gefährden, «sondern dem ganzen Land schaden», warnte Wulff.