Migration

CDU-Politiker Frei für Systemwechsel in der Asylpolitik

Thorsten Frei will im Asylrecht den Schalter umlegen: Wer von europäischem Boden aus Schutz begehrt, wird abgewiesen. Wer Schutz braucht, soll aus dem Ausland aufgenommen werden. Es hagelt Kritik.

CDU-Politiker Frei für Systemwechsel in der Asylpolitik

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, plädiert für einen Systemwechsel in der Asylpolitik. Das Recht des einzelnen Menschen, auf europäischem Boden Asyl zu beantragen, solle abgeschafft und durch Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa ersetzt werden, schrieb der CDU-Politiker in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Konkret schlug er vor, jährlich ein Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufzunehmen und dann innerhalb Europas zu verteilen.

Sein Vorstoß stieß bei Politikern der SPD, der Linkspartei, der FDP und der Grünen auf massive Kritik. «Der Vorschlag von Thorsten Frei ist realitätsfremd und geht ins Leere, da er illegale Migration nicht stoppen wird», sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Besser sei eine nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen. Er fügte hinzu: «Außerdem schleift der Vorstoß das individuelle Recht auf Asyl – eine wichtige humanitäre Errungenschaft, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus gutem Grund nach dem Zweiten Weltkrieg dort installiert haben.»

Frei: Auswahl «zutiefst inhuman»

Theoretisch hätten derzeit 35 Millionen Afghanen das Recht, in Deutschland aufgenommen zu werden, argumentierte Frei, und ergänzte, «damit möglichst wenig Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrages auf europäischem Boden.» Diese Auswahl sei aber «zutiefst inhuman». Denn wer alt, zu schwach, zu arm oder zu krank sei, habe keine Chance, nach Europa zu gelangen. In der Praxis laufe das auf eine Benachteiligung von Frauen und Kindern hinaus. Wenn aus dem Individualrecht auf Asyl eine sogenannte Institutsgarantie gemacht werde, würden zudem Sicherheitsrisiken minimiert und Chancen auf Integration maximiert. Der Bezug von Sozialleistungen wäre dann «umfassend ausgeschlossen».

«Warum es unmenschlich sein soll, dass jemand erstmal vorträgt, warum er Schutz braucht, das geht mir nicht in den Kopf», sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour in der Sendung «Frühstart» von RTL/ntv. Man müsse sich auf die Unterstützung der Kommunen bei der dauerhaften Versorgung und Integrationsarbeit konzentrieren. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es sei ein richtiger Schritt, dass auf europäischer Ebene das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformiert werde. «Es wäre gut, wenn die CDU mit Ernsthaftigkeit diese Bemühungen unterstützen würde.»

150.000 Erstanträge auf Asyl im 1. Halbjahr 2023

Die EU plant eine weitreichende Asylreform, um die allerdings noch gerungen wird. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um die irreguläre Migration zu begrenzen – insbesondere aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Beispielsweise soll bereits an den EU-Außengrenzen geschaut werden, wer wenig Aussicht auf Asyl hat. Diese Menschen sollen gegebenenfalls direkt zurückgeschickt werden. In Deutschland haben im ersten Halbjahr dieses Jahres rund 150.000 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt – deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum.

Die Genfer Flüchtlingskonvention und das individuelle Recht auf Asyl «waren die Antwort auf Nazideutschland», betonte die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger. Dass der CDU-Politiker Frei nun fordere, diese zivilisatorische Errungenschaft über Bord zu werfen, sei «geschichtsvergessen und offenbart, wie weit seine Partei sich nach rechts bewegt hat».

Frei räumte in seinem Gastbeitrag ein, dass für die von ihm vorgeschlagene Reform «enorme politische Hürden» zu überwinden wären. Er schrieb: «Aber wenn wir sie nicht überwinden, führt die Überforderung unserer Gesellschaften zur Zerstörung dessen, was das Asylrecht gewähren will: ein Europa als Zufluchtsort für schutzbedürftige Menschen.»

«Offensichtlich sind wir schon im Sommerloch», antwortete die Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag in Bonn auf eine Journalistenfrage zu dem Vorschlag Freis. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat kritisierte: «Mit solchen Debatten befeuert die Union die Forderungen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Regierungen nach einer faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes nur weiter.»