Bündnis-Gipfel

Die Nato feiert - und streitet doch

Die Nato ist etwa sechs Jahre jünger als Joe Biden. Auch nach dem 75. Geburtstag ist die Allianz nicht in die Jahre gekommen. Bedrohungen wie Russlands Angriffskrieg geben ihr eine Aufgabe.

Die Nato feiert ihren 75. Geburtstag. Doch zum Jubiläumsgipfel in Washington bestimmt die Fitness des Gastgebers, US-Präsident Joe Biden, die Schlagzeilen. Dabei steht das auf 32 Alliierte gewachsene Bündnis vor ernsten Herausforderungen. Vor allem braucht es Garantien für eine stetige militärische Unterstützung der Ukraine, auch wenn Donald Trump, der republikanische Kontrahent Bidens, bei der Präsidentenwahl im November gewinnen sollte. Weit oben auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs steht ebenfalls, dass China militärisch die demokratische Insel Taiwan bedroht und Nachbarn in der indopazifischen Region versucht einzuschüchtern. 

Wie schlägt sich Biden? 

Die Debatte über den Gesundheitszustand von Biden reißt nicht ab. Der 81-Jährige kämpft um seine Präsidentschaftskandidatur. Biden will für die Demokraten wieder ins Weiße Haus einziehen - auch nach dem verpatzten TV-Duell gegen Trump. Selbst in der eigenen Partei stellen viele Biden wegen dessen hohen Alters infrage, dazu kommen schlechte Umfragewerte. 

Dabei wäre der Jubiläumsgipfel eigentlich eine gute Gelegenheit für Biden, sich als starker Mann und Anführer des Westens zu inszenieren – und Zweifel an seiner geistigen und körperlichen Fitness zu zerstreuen. Bilder von einem geschmeidigen Auftritt an der Seite ausländischer Staats- und Regierungschefs und deren öffentliche Unterstützung könnten dem Demokraten Rückenwind verleihen.

Doch nun wird der Gipfel eher zur Bewährungsprobe: Jede Regung des Präsidenten wird genaustens verfolgt werden. Mit besonderer Spannung wird die Abschlusspressekonferenz am Donnerstag erwartet, bei der Biden auch Fragen von Journalisten beantworten will. 

Fallen die USA mit Trump als Anführer aus, was macht dann Deutschland? 

Die deutsche Delegation reist mit gemischten Gefühlen nach Washington. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat es gerade noch vor dem Gipfel geschafft, einen Haushalt für 2025 auf die Beine zu stellen. Der Posten für die Bundeswehr wächst aber nur um gut 1,2 statt der von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) angemeldeten 6,7 Milliarden Euro. Pistorius nannte das auf seinem Weg nach Washington ärgerlich. Die Stimmung könnte besser sein. 

Für Scholz, Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird es beim Gipfel um die sehr grundsätzliche Frage gehen: Wie viel Verantwortung in der Nato kann und will Deutschland künftig eigentlich übernehmen? Angesichts eines möglichen Sieges von Trump und eines französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem seine neue Regierung weniger Beinfreiheit geben wird, wird diese Frage immer lauter gestellt. 

Scholz hat sich bisher nicht als jemand hervorgetan, der in der Nato voranmarschiert. Gerade in der Ukraine-Politik hat er sich stets an den USA orientiert. In Scholz‘ Umfeld gibt man sich sehr zurückhaltend, wenn es um die Frage einer größeren deutschen Rolle geht. «Ich glaube, wir fahren gut damit, dass wir uns nicht selbst Rollen zuschreiben», heißt es.

Behindern Biden und Scholz die Ukraine auf dem Weg in die Nato?

Auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treibt die amerikanische Innenpolitik um. Sollte nämlich Trump die Wahl gewinnen, könnte es mit der üppigen Militärhilfe der USA vorbei sein. Trump propagiert, er könnte den russischen Angriffskrieg binnen 24 Stunden stoppen. 

Und einem schnelleren Nato-Beitritt der Ukraine stehen Scholz und Biden entgegen, wie von Diplomaten aus dem Bündnis zu hören ist. Länder wie Deutschland und die USA lehnten es ab, eine formelle Einladung auszusprechen, hieß es. Grund sei vor allem die Sorge, dass ein solcher Schritt zu einer weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges führen könnte.

Wird Selenskyj trotz Milliarden-Hilfe zufrieden sein?

Die Nato-Staaten wollen der Ukraine versprechen, innerhalb des nächsten Jahres Militärhilfen im Umfang von mindestens 40 Milliarden Euro zu leisten. Die Zusage bleibt deutlich hinter dem zurück, was der scheidende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ursprünglich gefordert hatte. 

Stoltenberg wollte, dass es eine Mehrjahreszusage gibt, um Putin zu zeigen, dass er nicht auf nachlassendes Engagement des Westens setzen kann. Unter anderem die USA wollten sich nicht langfristig verpflichten.

Auch will das Bündnis für den Fall einer Wiederwahl des Republikaners Trump im November vorsorgen und Aufgaben übernehmen, die bislang die USA erledigen - insbesondere die internationale Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte. 

Das Zögern der Allianz hatte schon beim Gipfel 2023 im litauischen Vilnius den Ukrainer verärgert. Nun könnte Selenskyj mit einem Kompromiss nach Kiew zurückkehren: Diplomaten sehen Chancen, dass der Beitrittsprozess in einer Gipfelerklärung als nicht mehr aufzuhalten beziehungsweise «irreversibel» bezeichnet wird. 

Das Weiße Haus machte vor Gipfelbeginn noch einmal deutlich, «neue Maßnahmen zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung» ankündigen zu wollen. Die Unterstützung der USA für die Ukraine sei «unerschütterlich», betonte Biden. 

Wer ist alles eingeladen, wer ist zum ersten Mal dabei? 

Zum ersten Mal nach dem Beitritt nimmt Schweden an einem Nato-Gipfel teil. Unter dem Eindruck des am 24. Februar 2022 begonnenen Angriffskrieges Russlands hatten Schweden und auch Finnland ihre Neutralität aufgegeben.

Für Nato-Generalsekretär Stoltenberg wird es der letzte reguläre Gipfel vor dem Abschied sein. Er übergibt sein Amt zum 1. Oktober nach zehn Jahren an den früheren niederländischen Regierungschef Mark Rutte.

Für den neuen britischen Premier Keir Stamer steht in Washington ein Crashkurs in internationaler Diplomatie an. Am Rande seines ersten Nato-Gipfels wird er Biden zu einem persönlichen Gespräch treffen, wie das Weiße Haus mitteilte.