Dündar: Deutschland verbeugt sich vor Erdogan
Der türkische Journalist Can Dündar hat den bevorstehenden Deutschland-Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf kritisiert. Wegen der Äußerungen Erdogans zur islamistischen Hamas und Israel hätte das Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Berliner Kanzleramt zumindest verschoben werden müssen, sagte der frühere Chefredakteur der Zeitung «Cumhuriyet» der Deutschen Presse-Agentur.
Der Bundesregierung wirft er vor, nach den Regeln des türkischen Präsidenten zu spielen. «Erdogan ist der Gewinner dieses Spiels, schon bevor der Besuch stattfindet», sagte Dündar der dpa. «Deutschland musste sich vor ihm verbeugen, in dem Wissen, dass er ein Hamas-Unterstützer ist und Israel als Terror-Staat bezeichnet.»
Scholz hatte Erdogan bereits nach dessen Wiederwahl als Präsident im Mai nach Berlin eingeladen. Nach dem Terrorangriff auf Israel mit rund 1200 Toten hatte der türkische Präsident die Hamas dann als «Befreiungsorganisation» verteidigt und Israel als «Terrorstaat» verurteilt. Für Deutschland ist die Sicherheit Israels dagegen Staatsräson und die Hamas eine Terrororganisation.
«Eine Art von Doppelmoral»
Scholz hat die Vorwürfe Erdogans zwar als «absurd» zurückgewiesen, aber dennoch an seiner Einladung festgehalten. Er verweist darauf, dass es viele wichtige Gesprächsthemen gebe, unter anderem die Wiederbelebung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei.
«So wie ich das verstehe, wollen sie Erdogan nicht verärgern, weil sie Erdogan brauchen», sagt Dündar dazu. Wer die Hamas verurteile, müsse daraus aber auch Konsequenzen für den Umgang mit denjenigen ziehen, die diese islamistische Organisation unterstützten. In Deutschland würden Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas untersagt. «Aber gleichzeitig laden sie einen Hamas-Anhänger ein und rollen den roten Teppich für ihn aus. Das ist schräg, eine Art von Doppelmoral.»
Dündar warf der Bundesregierung vor, ihre Ideale für aktuelle Interessen zu opfern. «Wenn man es mit einem Autokraten zu tun hat, sollte man sich sehr klar darüber sein, was man akzeptieren kann und was nicht», sagt er. Erdogan sei ein Experte darin, Krisen für sich zu nutzen und in Chancen zu verwandeln. Er habe das in der Flüchtlingskrise getan, in der Ukraine-Krise und auch im Streit um den Nato-Beitritt von Schweden und Finnland. «Und jetzt will er diese Krise in Israel wieder für sich nutzen. Wenn sie ihn also gewähren lassen, wird er es tun.»
Dündar lebt seit 2016 im Exil
Dündar wurde in der Türkei mehrfach angeklagt und unter anderem wegen des Vorwurfs der Terrorunterstützung zu insgesamt 27 Jahren Haft verurteilt. Seit 2016 lebt er in Deutschland im Exil. Beim Staatsbesuch Erdogans in Deutschland 2018 gab es eine größere Diskussion über Dündars Akkreditierung für die gemeinsame Pressekonferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Erdogan. Der türkische Journalist verzichtete schließlich auf seine Teilnahme.
Er habe damals von deutscher Seite einen Anruf bekommen, in dem ihm gesagt worden sei: «Wenn Sie zur Pressekonferenz kommen, wird Erdogan nicht kommen und stattdessen seine eigene Pressekonferenz im Hotel Adlon machen.» Er habe damals nicht gewollt, dass die Pressekonferenz seinetwegen abgesagt wird, sagt Dündar heute. Dieses Mal habe er sich gar nicht erst für den Besuch akkreditiert.