Eritrea-Krawall - Stellvertreterkampf auf Stuttgarts Straßen

4600 Kilometer Entfernung liegen zwischen Stuttgart und dem kleinen Staat Eritrea. Ein Konflikt zwischen Regimeanhängern und -gegnern eskaliert auf den Straßen der Stadt. Die Gewalt ist massiv.

Eritrea-Krawall - Stellvertreterkampf auf Stuttgarts Straßen

Sie liegen sorgsam aneinandergereiht da, die Polizei hat die Gegenstände öffentlichwirksam hindrapiert, die zu Waffen und Wurfgeschossen wurden. Lange Holzlatten, teils mit Nägeln durchsetzt. Dicke Aste, Steine, so groß wie ein Kopf. Der Stuttgarter Vizepolizeipräsident steht schockiert daneben.

«Das ist nur ein kleiner Ausriss von dem, was gestern mit einer gewissen Tragik stattgefunden hat», sagt er. «Es wurde nach allem gegriffen, um uns massiven Verletzungen auszusetzen.» Der Rechtsstaat könne das keineswegs tolerieren.

Einen Tag nach den Ausschreitungen lädt die Polizei die Öffentlichkeit zum Tatort, gibt unter freiem Himmel eine Pressekonferenz, wo wenige Stunden zuvor noch die Gewalt eskalierte. Immer noch sind im Stuttgarter Römerkastell Spuren der Verwüstung zu sehen, etwa Bauabsperrungen und Betongewichte, die herausgerissen wurden. Der Vize-Polizeipräsident spricht von einem «Gewaltexzess».

Doch was ist passiert?

Am Samstag versammeln sich Mitglieder eritreischer Vereine im Römerkastell, rund 90 an der Zahl. Sie haben einen Veranstaltungsraum bei der Stadt gemietet. Es handelte sich um keine Versammlung, die angemeldet werden müsse, sagt die Stadt. Laut Veranstalter war es ein Infotreffen, es sollte um die Sicherheit der Mitglieder gehen. Die eritreischen Vereine, so berichtet die Polizei, stünden der Regierung des Landes in Afrika nahe - eine isolierte Ein-Parteien-Diktatur, ohne Parlament oder unabhängige Gerichte. Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Eritreer ins Ausland fliehen.

Die Veranstaltung in Stuttgart ruft Regierungsgegner auf den Plan. Nach Angaben der Polizei reisen mehr als 200 Oppositionelle an, sie kommen vor allem aus dem Stuttgarter Umland, aber auch aus der Schweiz und aus Gießen. In der hessischen Stadt war es vor wenigen Wochen ebenfalls zu Ausschreitungen rund um eine ähnliche Veranstaltung gekommen. Die Gewalt hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht.

Nun trifft es Stuttgart. Den Regierungsgegnern wird ein Platz zugewiesen für ihren Protest, doch die weigern sich, dorthin zu gehen - und machen sich stattdessen auf zum Römerkastell. Dort eskaliert die Lage schnell. Die Männer greifen zu Latten, Stangen, Flaschen, Steinen, greifen Teilnehmer der Veranstaltung an, aber vor allem die Polizeibeamten, die diese beschützen wollen. Die Polizei hat anfangs viel zu wenig Beamte auf der Straße, die Veranstaltung wird zu Beginn nur mit 20 Polizisten gesichert. Man habe nicht mit einem solchen Ausmaß der Gewalt gerechnet, heißt es später. Eilig werden zusätzliche Kräfte angefordert, sogar per Hubschrauber eingeflogen wird die Verstärkung.

228 Tatverdächtige

Die Beamten gehen mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Krawallmacher vor. Die Straßen um das Römerkastell werden gesperrt. Stundenlang ist die Rede von Scharmützeln, immer wieder versuchen Kleingruppen zum Gebäude vorzudringen. Die Teilnehmer der Veranstaltung werden am Abend mit Polizeischutz vom Gelände eskortiert. Schließlich kesselt die Polizei so gut wie alle Tatverdächtigen ein, treibt die Gruppen zusammen. Bis in die Nacht werden Personalien festgestellt und Platzverweise erteilt. Gegen 228 Tatverdächtige wird nun ermittelt. Vorwurf: schwerer Landfriedensbruch. Nur einer davon ist im Gefängnis, alle anderen sind wieder auf freiem Fuß.

Der Veranstalter des Stuttgarter Eritrea-Treffens macht der Polizei am Sonntag schwere Vorwürfe. Man habe die Behörden vorher gewarnt, die Polizei habe die Sache aber auf die leichte Schulter genommen, kritisiert Johannes Russom vom Verband der eritreischen Vereine. Die Polizei entgegnet, schon häufig seien solche Veranstaltungen abgehalten worden, diese seien aber weitgehend friedlich verlaufen.

«Das sind keine Gegner der Regierung, das sind Gewalttäter», sagt Russom über die Angreifer. Wenn die gegen die eritreische Regierung kämpfen wollen, sollten sie dorthin hingehen. Man habe das legitime Recht, solche Veranstaltungen abzuhalten, sagt Russom. Nächste Woche finde bereits das nächste Treffen statt, kündigt er an.