Energieversorgung

Grüner Ersatz für Erdgas

Die Pläne für ein deutsches Wasserstoff-Netz nehmen Gestalt an. Doch ausgerechnet der Süden und der Osten des Landes drohen ins Hintertreffen zu geraten. Von Igor Steinle

Grüner Ersatz für Erdgas

Ob für Stahl, die Chemiebranche, Gaskraftwerke, Mobilität oder sogar die Gebäudewärme: Wasserstoff ist der große Hoffnungsträger der Energie­wende. Ohne das grüne Gas ist Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 quasi nicht erreichbar.

Doch noch gibt es auf dem Weg zum Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft viele Fragezeichen. Zum einen steht der Aufbau der welt­weiten Infrastruktur für Elektrolyse, so nennt sich das Herstellungs­verfahren für grünen Wasserstoff, erst in den Startlöchern. Zum anderen war die Frage, wie das Gas in Deutschland eigentlich an die Endkunden gelangen soll, bis vor kurzem ungeklärt.

So hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lange eine staatliche Wasserstoffgesellschaft vorgesehen, die den Bau eines neuen Leitungsnetzes vorantreiben sollte. Sein Staatssekretär Patrick Graichen hatte die Energiebranche sogar aufgefordert, mit den Planungen für einen Rückbau des Gasnetzes zu beginnen, da es künftig nicht mehr benötigt werde. Beide Vorschläge hatten in der Branche für Reaktionen von Kopfschütteln bis hin zu Entsetzen gesorgt. Nun ist man im Wirtschaftsministerium (BMWK) von dem Vorhaben offenbar zugunsten einer pragmatischeren Strategie abgewichen.

Noch vor der Sommerpause sollen Pläne für den Aufbau eines Hauptleitungsnetzes für Wasserstoff (H2) vorgelegt werden, verkündete Habeck jüngst. In einem ersten Schritt soll eine gesetzliche Grundlage für ein 1700 Kilometer langes Startnetz geschaffen werden, wie das BMWK auf Anfrage mitteilt. Ab 2024 soll dann in einem zweiten Schritt das Gasnetz, anstatt abgerissen zu werden, in das Wasserstoffnetz integriert werden. Laut Deutschem Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) kann das Gasnetz mit überschaubaren Umbauten komplett auf Wasserstoff umgestellt werden.

Ganz zufrieden sind mit den Plänen allerdings noch immer nicht alle. So sollen die Wasserstoff-Leitungen zunächst im windreichen Nordwesten Deutschlands gebaut werden, wo sich viele Elektrolyseure ansiedeln werden und es einen Anschluss an die niederländischen und norddeutschen Häfen gibt, über die der begehrte Stoff zudem importiert werden soll. Erst später soll der industriereiche und deswegen besonders energiehungrige Süden angeschlossen werden, wogegen vor allem die Bayern regelmäßig und lautstark protestieren.

Offenbar nicht zu Unrecht: So nehmen die Vorbereitungen der deutschen Industrie für eine Wasserstoff-Wirtschaft Fahrt auf, heißt es in einer Studie der Beratungs­firma Pricewaterhouse Coopers: „Dem Süden der Republik droht jedoch eine Ver­sorgungs­lücke“, warnen die Energieexperten. „Größter Abnehmer wird voraussichtlich das Rhein-Ruhr-Gebiet mit seiner Stahl- und Chemieindustrie.“ Zu großen Wasserstoff-Knotenpunkten würden das Saarland, die bayerische Oberpfalz, das Dreieck Frankfurt-Stuttgart-Würzburg, die Achse Bremen-Hamburg und die Region Berlin-Leipzig-Magdeburg.

Während weite Teile des Landes damit versorgt wären, zeichne sich im Süden hingegen eine doppelte Versorgungslücke ab. So soll der Süden zwar ab 2028 über Freiburg an Frankreich angeschlossen werden, jedoch warnen die Berater: „Nach aktuellem Stand ist beispielsweise für die Achse Freiburg-München bis 2030 weder eine ausreichende Anbindung an das europäische Wasserstoffnetz sichergestellt, noch wird die Region über ausreichend PV- oder Windkraftanlagen verfügen, um grünen Wasserstoff vor Ort herzustellen. Ebenso fehle eine ausreichende Anbindung an Stromtrassen, um sich mit grünem Strom aus dem Norden zu versorgen“, schreiben die Strategie­berater.

Timm Kehler, Chef des Branchenverbands „Zukunft Gas“, glaubt jedoch, dass die Diskussion über den endgültigen Netzverlauf noch nicht zu Ende ist. Er verweist auf die geplanten wasserstofffähigen Gaskraftwerke, die vor allem im Süden entstehen müssten, da dort besonders viel Kernkraft abgeschaltet wurde. Die müssten ja auch mit Wasserstoff versorgt werden.

DVGW-Chef Gerald Linke weist zudem auf Pläne hin, Bayern auch über Österreich zu beliefern. Er fordert den Freistaat jedoch auch auf, selbst stärker aktiv zu werden: „Bayern muss eben auch initiativ führen und darf nicht einfach nur Maßnahmen über Regionalität einklagen und sich zum Opfer machen.“

Doch nicht nur der Süden, auch der Osten wird in den bisherigen Plänen vernachlässigt, beklagt der Chef des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig. So spielten die Lausitz oder das mitteldeutsche Revier trotz ihrer „exponierten Vorteile“ bei der Erzeugung erneuerbarer Energien auf der künftigen Wasserstoffnetzkarte „so gut wie keine Rolle“, warnte er kürzlich im „Tagesspiegel“. Die ostdeutschen Bundesländer sollten deswegen „darauf drängen, dass sämtliche Kraftwerksstandorte berücksichtigt werden, um nicht weiter den Anschluss zu verlieren“.