Normalerweise ist der Alltag von Familie S. strikt durchgetaktet: Beide Kinder haben angeborene Krankheiten und benötigen rund um die Uhr Betreuung und Pflege. Sie müssen sondiert, gewickelt, mit Medikamenten versorgt werden. Sohn Fabian, heute 21 Jahre alt, kam als Extremfrühchen auf die Welt, war bei der Geburt nur 25 Zentimeter groß und erlitt schwere Hirnblutungen. Er ist blind und kann nicht sprechen.
Bei Fabians 14-jähriger Schwester Jana ist die linke Gehirnhälfte nicht entwickelt. Das Mädchen kann nicht laufen und nicht sprechen. Beide Kinder haben einen Rollstuhl, Fabian kann mit etwas Unterstützung selbst laufen.
Wenn die Eltern gemeinsam etwas unternehmen wollen, wird es kompliziert. «Wir können die Kinder mal für eine Stunde zu den Großeltern bringen», sagt Arndt S. «Aber für längere Zeit oder über Nacht geht das nicht.»
Vor einigen Monaten verbrachte Familie S. zwölf Tage im Kinder- und Jugendhospiz (KJH) «Sternenzelt» in Bamberg. Die Einrichtung ist eines von zwei stationären Kinderhospizen in Bayern. «Es war eine sehr große Entlastung», so Arndt S. Während der ersten Tage blieb er mit seiner Frau auf der Station. «Wir mussten zunächst Vertrauen aufbauen», erzählt der Vater. «Immerhin vertrauen wir dem Pflegepersonal das Wertvollste an, was wir haben.»
Nach einigen Tagen fasste das Ehepaar den Mut, zur Geburtstagsfeier einer Verwandten nach Sachsen zu fahren. Die Kinder blieben im «Sternenzelt». Arndt und Marion S. besuchten den Baumwipfelpfad im Steigerwald, gingen schwimmen, wandern, spazieren und shoppen. Für den Sommer 2024 hat Familie S. nun ihren nächsten Aufenthalt im Hospiz geplant.
Verschnaufpause für die Eltern
Bis zu 28 Tage pro Jahr dürfen Familien mit Kindern, die an lebensverkürzenden Krankheiten leiden, im stationären Kinderhospiz verbringen. Die Krankenkassen übernehmen 95 Prozent der Kosten. Die Familien wohnen vorübergehend im Hospiz und haben die Chance zu einer Verschnaufpause. Pflegefachkräfte betreuen den Nachwuchs. Eltern und gegebenenfalls Geschwister können endlich das tun, was sonst schwierig bis unmöglich ist.
Rund 50.000 Familien in Deutschland sind nach Angaben des Bundesverbands Kinderhospiz von einer Diagnose betroffen, die keine Aussicht auf Heilung oder Genesung für ein Kind bietet. «Ambulante Dienste betreuen Betroffene im häuslichen Umfeld», schreibt der Bundesverband auf seiner Internetseite. «Stationäre Kinderhospize bieten einen Ort zum Ausruhen und Krafttanken im beanspruchenden Alltag mit einem schwerstkranken Kind.»
Abschied im «Raum der Hoffnung»
Freude und Trauer liegen im «Sternenzelt» oft nah beisammen. Vor einiger Zeit starb hier ein zweijähriger Junge. Manche Familien wollen sich im Hospiz von ihrem Kind verabschieden, andere lieber zu Hause, wie Einrichtungsleiterin Beate Neumeister erzählt. Im «Raum der Hoffnung» können Familien vom verstorbenen Kind Abschied nehmen.
Das «Sternenzelt» arbeitet rund um die Uhr in einem Drei-Schicht-System. Manche Kinder müssen beatmet, per Sonde ernährt und ständig beobachtet werden. Jederzeit kann ein medizinischer Notfall auftreten. Trotz des hohen Arbeitsaufwandes arbeitet Pflegedienstleiterin Ulrike Ungerer gerne im Kinderhospiz: «Es ist eine Arbeit, die Sinn gibt und nachhaltig ist – für die Familien, die Gesellschaft und mich selbst.»
Besonders schön seien im «Sternenzelt» oft die Abende, erzählt sie. Die Kinder schlafen dann oder werden vom Personal versorgt. «Dann setzen sich die Eltern oft auf ein Glas Wein zusammen und tauschen sich aus», erzählt Ungerer. «Sie kennen die Situation der anderen und müssen einander nichts erklären.»
Nach Angaben des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes gibt es in Deutschland 19 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Der Großteil der Kinderhospizarbeit läuft ambulant und ehrenamtlich.
Die Arbeit mit Kindern im Hospizbereich unterscheide sich deutlich von der mit Erwachsenen, erklärt Dirk Münch, Leiter des Hospiz-Teams Nürnberg, eines ambulanten Hospizdienstes. «Die Begleitung ist meist länger und zeitaufwendiger als bei Erwachsenen. Man ist viel stärker in die Familie integriert.»
Zwischen Hoffnung und Resignation
Was bei betroffenen Kindern dazu kommt: Ihre Krankheiten sind nicht zwangsläufig ein Todesurteil - gerade bei Krebs täten sich manchmal doch wieder Heilungschancen auf, sagt Münch. «Manchmal gibt es dann unterschiedliche Haltungen in der Familie: Sollen wir das Kind noch mal ins Krankenhaus bringen?» Das Schwanken zwischen Hoffnung und Resignation könne sehr belastend sein.
Großen Raum nehme die Arbeit mit Geschwistern der kranken Kinder ein, erklärt Münch: «Sie fallen oft ein wenig hinten runter, weil sich in der Familie alles um das kranke Kind dreht.» Beim Hospiz Verein Erlangen wird eine eigene Geschwistergruppe angeboten, wie die Vorsitzende Marion Pliszewski sagt. «Wenn ehrenamtliche Kinderhospizbegleiter in einer Familie eingesetzt sind, dann gehen sie auch mit den Geschwistern Eis essen oder Fußball spielen.»