Im weiten Reich der Lufthansa hat das Jahr 2024 begonnen, wie das alte aufgehört hat: Mit Pilotenstreiks in einer kleineren Teilgesellschaft.
Nach dem fünfstündigen Warnstreik beim neuen Ferienflieger Discover einen Tag vor Heiligabend waren es am vergangenen Wochenende die Piloten der belgischen Tochter Brussels Airlines, die etliche Flüge ausfielen ließen.
Und die Passagiere des umsatzstärksten Luftverkehrskonzerns in Europa müssen sich auf weitere Unannehmlichkeiten einrichten, denn die Tarifverhandlungen im Zeichen des Kranichs erweisen sich erneut als schwierig.
Verhandlungen beginnen
Mit rund 25.000 Beschäftigten geht das Bodenpersonal der Lufthansa-Gruppe in Deutschland als eine der größten Beschäftigtengruppen an diesem Donnerstag in die Verhandlungen. Deren Streikmacht ist unbestritten und die Forderungen kräftig - 12,5 Prozent mehr Geld, Ende der Mehrarbeit im Osten sowie höhere Schichtzulagen und Inflationsausgleichsprämie. Ohne Techniker oder Check-in-Personal kann ein Flieger ebenso wenig abheben wie ohne Piloten oder Flugbegleiter. Verdi-Verhandlungsführer Marvin Reschinsky erwartet angesichts der Mobilisierung in den Betrieben bereits in der ersten Runde ein Angebot des Arbeitgebers.
Immer wieder fällt dem MDax-Konzern seine komplizierte Struktur auf die Füße - mit etlichen Teilgesellschaften wie Eurowings, Discover oder als jüngste Tochter die City Airlines neben der Muttergesellschaft. In jedem dieser Unternehmen agieren die unterschiedlichen Gewerkschaften wie die Vereinigung Cockpit, Verdi und die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo), drängen jeweils auf eigene Tarifverträge, gelegentlich auch in scharfer Konkurrenz untereinander. Dazu kommen die Auslandstöchter in Belgien, der Schweiz, Österreich und vielleicht bald in Italien, so dass im verzweigten Lufthansa-Konzern eigentlich fast immer irgendwo gestreikt wird.
Lufthansa muss wettbewerbsfähig bleiben
Die Arbeitskämpfe in Grenzen zu halten und ein möglichst gutes Einvernehmen mit den Sozialpartnern zu schaffen, ist die Aufgabe von Personalvorstand Michael Niggemann. Dabei muss er im Auge behalten, dass Lufthansa in allen Segmenten wettbewerbsfähig bleibt. Soll heißen: Im Punkt-zu-Punkt-Verkehr oder bei Zubringerflügen können in der Konzern-Logik nicht ähnlich hohe Gehälter gezahlt werden wie beim besonders einkömmlichen Transkontinentalverkehr. Auch nicht bei einem für 2023 erwarteten operativen Gewinn von rund 2,6 Milliarden Euro. Dieser wird laut Vorstandschef Carsten Spohr dringend benötigt, um Investitionen in umweltfreundlichere Flugzeuge, Infrastruktur und Personal zu stemmen.
Obwohl die Friedenspflicht bereits ausgelaufen ist, verlaufen die Verhandlungen mit Ufo für rund 18.000 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter bei der Konzernmutter noch weitgehend friedlich. Ärger gibt es hier eher um die Tochter Cityline, deren rund 1000 Kabinenkräfte nach dem Willen des Managements zur neuen, fast namensgleichen Gesellschaft City Airlines wechseln sollen. Das Problem: Die neue Airline agiert nur in München und Frankfurt, während die Cityline noch neun dezentrale Stationen unterhält und daher viele Leute den Arbeitsort wechseln müssten. Annehmbare Bedingungen dafür seien noch nicht mal im Ansatz erkennbar, heißt es bei der Ufo.
Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit versucht mit einer gemeinsamen Tarifkommission, sämtliche Flugbetriebe der Lufthansa in Deutschland abzudecken. Der Lufthansa sollen bei allen Gesellschaften immer dieselben Verhandlungspartner begegnen, ein Gegeneinander-Ausspielen soll so verhindert werden. In der Vergangenheit ging es der VC allerdings häufig darum, ihre Kern-Klientel bei der Lufthansa-Hauptgesellschaft zu schützen. Dies mit den Interessen der Beschäftigten in den Tochter-Gesellschaften unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer leicht. Im Ergebnis konnte Verdi zumindest bei der Beteiligung Aerologic und bei der Tochter Eurowings in die VC-Phalanx einbrechen und dort eigene Tarifverträge für Piloten abschließen.
Anlass zu neuen Streiksorgen
Wie stark die VC beim neuen Lufthansa-Ferienflieger Discover mit derzeit 24 Flugzeugen ist, wird sich schon in wenigen Tagen zeigen. Die Gewerkschaft hat nach dem ersten Warnstreik ihre Mitglieder zur Urabstimmung über unbefristete Streiks aufgerufen. Das Unternehmen verlangt nach der vorweihnachtlichen Streikerfahrung zusätzlich eine sogenannte «Sozialpartner-Charta», eine Art Verhaltenskodex. Die VC fasst dies als Einschränkung ihrer tariflichen Rechte auf und bläst zum möglicherweise folgenreichen Arbeitskampf: Konnten die fünf Stunden am Tag vor Heiligabend noch im Flugplan «weggeatmet» werden, rechnet man im Konzern im Falle eines längeren Streiks mit etlichen Flugausfällen.
Auch sonst besteht für die Passagiere durchaus Anlass zu neuen Streiksorgen: Dem Lufthansa-Bodenpersonal sollte der Konzern wohl spätestens bei der zweiten Runde am 23. Januar ein Angebot vorlegen. Laut Verdi haben sich die Beschäftigten bereits an mehreren Standorten untereinander ihrer Kampfbereitschaft versichert und sogenannte «Streikversprechen» abgegeben. Spätestens Mitte März will Verdi laut Verhandlungsführer Reschinsky dann einen Abschluss sehen, sonst seien Urabstimmung und Streiks unausweichlich.