Lage im Überblick

Israel und Hisbollah nähern sich Waffenstillstand

Mehr als ein Jahr dauern die Kämpfe zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon schon an. Die Leidtragenden sind vor allem Zivilisten. Stimmt Israels Sicherheitskabinett einem Waffenstillstand zu?

Nach mehr als einem Jahr Krieg im Libanon verdichten sich die Anzeichen für einen kurz bevorstehenden Waffenstillstand zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah-Miliz. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde heute Abend das Sicherheitskabinett einberufen, um einen 60-tägigen Waffenstillstand mit der Hisbollah zu billigen, sagte ein Beamter der «Times of Israel». Die Deutsche Presse-Agentur erfuhr aus Regierungskreisen, die Zustimmung des Kabinetts zu der unter US-Vermittlung ausgehandelten Vereinbarung sei «wahrscheinlich». Auch libanesische Regierungsquellen in Beirut äußerten sich optimistisch. Die Entscheidung liege bei Israel.

Man sei nahe dran an einer Einigung über einen Waffenstillstand, man habe gute Gespräche geführt, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Es gehe in die richtige Richtung. «Aber es ist noch nicht geschafft», sagte Kirby. Er wolle sich aber nicht zu Details äußern, um die Chance auf eine Einigung nicht zu gefährden.

Die vorliegende Vereinbarung sehe einen 60-tägigen Umsetzungszeitraum vor, der es Israels Militär ermöglichen solle, sich zurückzuziehen, berichtete derweil das «Wall Street Journal» unter Berufung auf libanesische Beamte. Die libanesische Armee solle zugleich im Grenzgebiet zu Israel stationiert werden, um zu verhindern, dass Kämpfer der Hisbollah dort wieder Fuß fassen. Eine internationale Kommission solle mit der schon seit Jahren im Libanon stationierten UN-Friedenstruppe Unifil die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, hieß es.

Noch gehen die Angriffe weiter 

Vorerst setzten Israel und die Hisbollah ihre gegenseitigen Angriffe jedoch fort. Die israelische Luftwaffe ging erneut in den Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut vor. Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie ganze Gebäude infolge der Lufteinschläge zusammenbrachen. Augenzeugen berichteten, dass die Explosionen in ganz Beirut zu hören waren. Zuvor hatte ein Armeesprecher mehrere Evakuierungsaufrufe an die Bewohner gerichtet. Auch in anderen Teilen des Landes griff die israelische Armee weiter an. 

Attacken auf Kommandozentralen sollen vor allem die Fähigkeiten der Hisbollah schwächen, sich von den schweren Schlägen der vergangenen Monate zu erholen, sich erneut zu bewaffnen und neu zu organisieren, hieß es. Die Miliz schoss dennoch erneut Raketen auf Israel ab. Im Norden Israels wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, in einigen Gebieten sollen die Schulen heute geschlossen bleiben, weil verstärkter Raketenbeschuss befürchtet wurde. In der Nacht heulten im Norden des Landes erneut die Warnsirenen. 

Armee: Israel von mehr als 17.000 Raketen beschossen 

Die vom Iran finanzierte Hisbollah wollte nach eigenen Angaben mit den Angriffen ein Ende der israelischen Offensive gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen erzwingen. Die Terrorgruppe hatte am 7. Oktober 2023 ein Massaker in Israel verübt, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere als Geiseln verschleppt wurden. Der Angriff löste den seit mehr als einem Jahr andauernden Gaza-Krieg aus. Seither hat die mit der Hamas verbündete Hisbollah mehr als 17.000 Raketen auf Israel abgefeuert, wie die Armee auf Anfrage mitteilte. 

Im selben Zeitraum habe Israels Militär rund 12.000 Terrorziele im Libanon angegriffen, hieß es. Die Hisbollah gilt seit den intensiven Luftangriffen und einer von Israel Mitte September gestarteten Bodenoffensive inzwischen als angeschlagen. Ein Großteil ihrer Anführer wurde getötet. Insgesamt starben im Libanon durch Israels Gegenangriffe mehr als 3.000 Menschen. In beiden Ländern warten Zehntausende Menschen darauf, nach einem Ende der Kämpfe in ihre Wohnorte zurückkehren zu können. In Israel war die Rückkehr der aus dem Norden des Landes vor dem Beschuss geflohenen Bewohner erklärtes Kriegsziel.

Israels Armee: Jahrelanger Kampf gegen Irans Waffenschmuggel

Der von der «Times of Israel» zitierte Regierungsbeamte betonte, Israel akzeptiere zwar eine Einstellung der Feindseligkeiten, nicht aber ein Ende des Krieges gegen die Hisbollah-Miliz. Israels Armee gewährte unterdessen erstmals einen genaueren Einblick in ihren jahrelangen Kampf gegen den Schmuggel von Waffen aus dem Iran zur Hisbollah. Für den Schmuggel seien verdeckte Routen durch den Irak und Syrien in den Libanon eingerichtet worden. 

Dabei seien im Laufe der Jahre Tausende Lastwagen und Hunderte Flugzeugen eingesetzt worden, um Tausende Raketen und weitere Waffen in den Libanon zu bringen, mit denen Israel angegriffen werde. Die syrischen Behörden wirkten dabei stillschweigend mit. Israel habe diese Routen nicht erst in den vergangenen Monaten ins Visier genommen, sondern seit Jahren, erklärte die Armee. Israel werde auch in Zukunft gegen jeden Versuch des Irans vorgehen, Verbündete im Nahen Osten Waffen zu liefern.

Bemühungen auch um Waffenstillstand in Gaza 

Die USA als Israels wichtigster Verbündeter drängen seit Wochen auf eine Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel. Ihr Vermittler Amos Hochstein war diese Woche für Verhandlungen erneut in den Libanon und nach Israel gereist. Derweil wird der Nahost-Koordinator des Weißen Hauses, Brett McGurk, heute in Saudi-Arabien erwartet. 

Dort will McGurk nach Angaben aus Washington darüber sprechen, wie ein mögliches Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon als Katalysator für einen möglichen Waffenstillstand auch im Gazastreifen sowie für mehr Stabilität in der Region genutzt werden kann. Die Beendigung des Gaza-Kriegs gilt als deutlich komplizierter, auch weil die Hamas noch immer aus Israel entführte Geiseln festhält.

 

Haftbefehl gegen Netanjahu: G7 suchen weiter nach gemeinsamer Linie

Derweil dürften sich die Außenminister der Gruppe sieben demokratischer Industrienationen (G7) am heutigen zweiten und letzten Tag ihres Treffens in Italien erneut mit dem vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu beschäftigen. Die G7 suchen nach einer gemeinsamen Haltung dazu. Italien als Gastgeber des Treffens in der mittelitalienischen Kleinstadt Fiuggi bemüht sich um eine Formulierung, die alle sieben Staaten mittragen. 

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte den Haftbefehl gegen Netanjahu sowie dessen früheren Verteidigungsminister Joav Galant kürzlich wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg erlassen. Eigentlich sind alle Vertragsstaaten des Strafgerichtshofs dazu verpflichtet, die Haftbefehle zu vollstrecken. Mit Ausnahme der USA gehören alle G7-Staaten dazu. Dazu zählen neben den USA und Italien auch Kanada, Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland.