Jeder vierte Grundschüler kann nicht richtig lesen
In einer internationalen Vergleichsstudie über die Lesekompetenzen in der vierten Klasse ist Deutschland erneut nur im Mittelfeld gelandet – hinter Ländern wie der Slowakei und Bulgarien. Dabei ist die Lesefähigkeit „Grundlage für den schulischen, aber auch den späteren außerschulischen Erfolg“, sagte die wissenschaftliche Leiterin der Studie für Deutschland, die Bildungsforscherin Nele McElvany.
Was wurde getestet? Zwei Arten von Texten bekamen die Schülerinnen und Schüler vorgesetzt: einen informativen und einen erzählenden. Ergebnis: Nur 8 Prozent schnitten beim Leseverständnis sehr gut ab (zum Vergleich: beim Spitzenreiter Singapur 35 Prozent). Zwei Drittel erzielten mittlere Ergebnisse, ein Viertel sehr schlechte. In Italien zum Beispiel gehörten zu letzterer Kategorie nur 14 Prozent. Damit liegen die Werte der deutschen Schülerinnen und Schüler unter denen aus 2001, dem Jahr des „Pisa-Schocks“. In Deutschland beteiligten sich rund 4600 Schülerinnen und Schüler an der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu). Insgesamt nahmen 65 Länder teil.
Warum sind die deutschen Ergebnisse so schlecht? Weit unterdurchschnittlich fielen die Leistungen bei Kindern aus ärmeren Elternhäusern sowie aus Einwandererfamilien aus. „Innerhalb von 20 Jahren hat sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland praktisch nichts verändert“, konstatieren die Studienautoren.
Ein wesentlicher Grund für die schlechten Leistungen liegt nach Angaben der Studie darin, dass im deutschen Unterricht wesentlich weniger Zeit fürs Lesen aufgebracht wird als anderswo: durchschnittlich 141 Minuten pro Woche; im EU-Durchschnitt sind es 194 Minuten. Hinzu kommt: Auch außerhalb des Unterrichts verbringen deutsche Schülerinnen und Schüler kaum Zeit mit Büchern oder Leseheften (37 Minuten pro Schultag; Dänemark 60 Minuten).
Wo müsste die Bildungspolitik ansetzen? In Deutschland fehle „eine klare Prioritätensetzung“ auf die Grundkompetenz des Lesens, heißt es in der Studie. Rückstände müssten „frühzeitig erkannt und aufgeholt“ werden, und es gebe enormen Bedarf an individueller Förderung. Auch müsse die Sprachförderung bereits in den Kitas systematisiert und verstärkt werden. Warum bleiben positive Effekte aus? Um größere Aufholeffekte zu erzielen, wäre nach Ansicht von Experten in den Schulen und Kitas eine gezielte Sprach- und Leseförderung nötig, die häufig an fehlendem Personal scheitert. Abzuwarten bleibt, welcher Effekt mit dem geplanten Startchancen-Programm für 4000 Schulen in Problemgebieten erzielt werden kann. Derzeit streiten sich Bund und Länder um Finanzierungsfragen.