Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
Die Ukraine kommt bei der Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete nach eigenen Angaben langsam voran. In der vergangenen Woche habe Kiews Militär im Zuge seiner Gegenoffensive 37 Quadratkilometer eingenommen, teilte die Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Montag bei Telegram mit. Zum Vergleich: Das entspricht gut einem Drittel der Fläche der Nordseeinsel Sylt. Maljars Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Zudem meldete die Ukraine, dass mehr als ein Dutzend russische Drohnenangriffe in der Nacht erfolglos verlaufen seien. Präsident Wolodymyr Selenskyj behauptete in einem Interview, dass Kremlchef Wladimir Putin bei dem jüngsten Aufstand der Wagner-Söldner «schwach» aufgetreten sei und zunehmend die Kontrolle in Russland verliere.
Derweil eröffnete die EU-Justizbehörde Eurojust in Den Haag ein internationales Strafverfolgungszentrum, wo Beweise zur Verfolgung russischer Aggression gesammelt und gezielt Anklagen gegen mutmaßliche Täter vorbereitet werden sollen.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besuchte Polen und mahnte rasche Fortschritte beim Aufbau und Betrieb eines Reparaturzentrums für Kampfpanzer vom Typ Leopard 2.
Kiew meldet befreite Gebiete bei Gegenoffensive
Rund um die Stadt Bachmut seien 9 Quadratkilometer befreit worden, an der Südfront 28 Quadratkilometer, präzisierte Vizeministerin Maljar. An der Front werde hart gekämpft. «Wir bewegen uns im Raum Bachmut voran, während der Feind weiterhin seinen Angriff in Richtung Lyman, Awdijiwka und Marjinka führt», schrieb sie. Die Kämpfe an der Ostfront bezeichnete sie als «schwer». Insgesamt seien seit Beginn der Offensive Anfang Juni in dem Gebiet 158,4 Quadratkilometer von Kiew zurückerobert worden, schrieb Maljar. Russland hält allein im Süden der Ukraine – ohne die Krim und den bereits seit 2014 unter Separatistenkontrolle befindlichen Teil des südlichen Donezk – mehr als 45 000 Quadratkilometer besetzt.
Kiew meldet abgewehrte Drohnenangriffe in Süd- und Ostukraine
Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben in der Nacht den Großteil russischer Drohnen über dem Süden und Osten des Landes abgefangen. Die Flugabwehr habe 13 der 17 von Russland gestarteten Drohnen abgeschossen, teilte die Luftwaffe mit. «Der Rest hat sein Ziel nicht erreicht.» Unabhängig konnten diese Angaben zunächst nicht bestätigt werden.
Ukrainische Autorin stirbt nach Angriff auf Café
Die Schriftstellerin Victoria Amelina ist an den Verletzungen verstorben, die sie bei einem russischen Raketenangriff auf ein Café im ostukrainischen Kramatorsk in der vergangenen Woche erlitten hatte. Das teilte der Schriftstellerverband PEN mit. Damit ist die Zahl der Todesopfer des Angriffs auf Kramatorsk auf 13 gestiegen.
Selenskyj: Putin hat nicht alles unter Kontrolle
Die massive Präsenz der russischen Armee in der Ukraine – statt in den Kasernen in der Heimat – hat nach Ansicht von Selenskyj die Blitzrevolte der Wagner-Truppe in Russland ermöglicht. «Putin hat die Sicherheitslage nicht unter Kontrolle», sagte er dem US-Sender CNN. «Wir wissen alle, dass seine gesamte Armee in der Ukraine ist, fast die gesamte Armee ist dort. Deshalb war es für die Wagner-Truppen so einfach, durch Russland zu marschieren. Wer hätte sie aufhalten können?» Die Reaktion des Kremlchefs auf den Aufstand der von Jewgeni Prigoschin angeführten Privatarmee Wagner vor gut einer Woche bewertete Selenskyj als «schwach». Die Rebellion habe gezeigt, dass Putin nicht alles kontrolliere. Die Vertikale der Macht – das System, in dem sich alles dem Kreml unterordnet – zerfalle, sagte Selenskyj.
Moskau: Söldneraufstand keinen Einfluss auf die Front
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu lobte indes nach der erfolglosen Wagner-Revolte die Treue und Einsatzbereitschaft der regulären Truppen. «Die Provokation hatte keine Auswirkungen auf die Handlungen der Streitkräftegruppierung», sagte er. Die Soldaten an der Front hätten weiterhin ihre Aufgaben erledigt. «Insgesamt hat der Feind in keiner Angriffsrichtung sein Ziel erreicht», behauptete er.
Neues Zentrum für Strafverfolgung der russischen Aggression
Mit dem neuen Strafverfolgungszentrum setzen westliche Staaten ein Zeichen bei der strafrechtlichen Verfolgung Russlands wegen des Angriffskriegs. «Wir werden nichts unversucht lassen, um Putin und seine Handlanger zur Rechenschaft zu ziehen», sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der Westen sucht schon länger nach Möglichkeiten, Russland strafrechtlich zu verfolgen. Das Weltstrafgericht ebenfalls mit Sitz in Den Haag hatte bereits internationale Haftbefehle erlassen gegen Putin wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen wie die mutmaßliche Verschleppung von Minderjährigen aus der Ukraine nach Russland. Das Gericht darf aber kein Verfahren zur Aggression selbst einleiten.
Pistorius mahnt Fortschritte bei Panzer-Reparaturzentrum an
Verteidigungsminister Pistorius will rasche Fortschritte beim Aufbau und Betrieb eines Reparaturzentrums für Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 in Polen. Gespräche darüber sollen in den kommenden zehn Tagen beendet werden, sagte er nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Mariusz Blaszczak. «Klar muss sein: Instandsetzung gehört zur nachhaltigen Unterstützung der Ukraine dazu», betonte Pistorius. Das Zentrum sollte in Gleiwitz (Gliwice) zur Reparatur der von Polen und Deutschland an Kiew gelieferten Leopards eingerichtet werden und im Mai seine Arbeit aufnehmen. Doch die Sache kommt nicht voran.
Moskau erwägt Verschiebung von Wahlen in besetzten Gebieten
Wegen der angespannten Sicherheitslage in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine erwägt Moskau die Verschiebung der dort im Herbst geplanten Regionalwahlen. Bei «unvorhergesehenen Umständen» und Gefahr für Leben und Gesundheit der Menschen, die «in bestimmten Gebieten der neuen Regionen Russlands» lebten, könnten die Wahlen dort verschoben werden, sagte die Vorsitzende der russischen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, am Montag. Die Lage in den besetzten Gebieten bezeichnete sie als «nicht einfach».
Russland hatte im Herbst die Gebiete Saporischschja und Cherson im Süden sowie Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine nach Scheinreferenden völkerrechtswidrig für annektiert erklärt. Im Juni startete die Ukraine eine Gegenoffensive, um die Gebiete zu befreien.
Tschechiens Außenminister: Russland für Jahrzehnte Gefahr
Tschechiens Außenminister Jan Lipavsky sieht durch den Angriffskrieg auf die Ukraine auch sein Land bedroht. «Unsere Bedrohung ist keine Einbildung. Russland wird auf Jahrzehnte eine Gefahr für den europäischen Kontinent darstellen», sagte er dem «Tagesspiegel» (Dienstag). Er sei froh, dass Deutschlands neue Sicherheitsstrategie dies klar zum Ausdruck bringe.
Wegen ähnlich gelagerter Probleme bedeute eine Gefahr für Tschechien auch eine Gefahr für Deutschland. «Unsere Volkswirtschaften sind stark voneinander abhängig. (…) Wir haben wirtschaflich einen gemeinsamen Raum geschaffen. Wenn wir in Gefahr sind, dann ist Deutschland das auch», sagte der Minister weiter.
Mit Blick auf den Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauen sieht Lipavsky die von Russland angegriffene Ukraine weder für einen Beitritt zu dem Verteidigungsbündnis noch zur EU bereit. «Aber sie muss es werden. Und es ist in unserem Interesse, der Ukraine dabei zu helfen.» Um der Europäischen Union beitreten zu können, müsse sich die Ukraine ändern, so der Außenminister, besonders mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit. Die Ukraine habe noch «eine Menge Probleme mit Oligarchen und verschiedenen Interessengruppen». Aber: «Sie hat den politischen Willen, das zu schaffen.»