Staatsbesuch

Macron will neuen Schwung in Beziehungen zu Berlin bringen

Es ist der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit 23 Jahren: Am Sonntag kommen Macron und seine Frau Brigitte für gut 48 Stunden nach Deutschland.

Macron will neuen Schwung in Beziehungen zu Berlin bringen

Empfang mit militärischen Ehren vor dem Ludwigsburger Barockschloss, Bootsfahrt auf der Berliner Spree und eine große Rede vor der Dresdner Frauenkirche: An symbolträchtigen Bildern wird es beim ersten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren nicht mangeln, soviel steht jetzt schon fest.

Für gut 48 Stunden kommt Emmanuel Macron am Sonntagabend mit seiner Frau Brigitte nach Deutschland und macht Station in drei Bundesländern. Sein Ziel ist es, neuen Schwung in die zuletzt recht holprigen Beziehungen der beiden Länder zu bringen.

An dem Programm wurde monatelang gefeilt. Anders als bei politischen Arbeitsbesuchen, die von der Tagespolitik bestimmt sind, bilden Staatsbesuche ganz grundsätzlich den Zustand und die Perspektiven der Beziehungen zweier Länder ab. In jedem Ort steckt eine Botschaft, jeder Schritt wird genau beobachtet, und jedes Wort muss sitzen.

Station 1: Erinnerung an eine historische Rede de Gaulles

Die Reise findet – Stand heute – trotz der Unruhen in Frankreich nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen in einem Pariser Vorort statt. Die Macrons werden am Sonntagabend im baden-württembergischen Marbach erwartet, am Montagfrüh werden sie vor dem riesigen Residenzschloss in Ludwigsburg von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender mit militärischen Ehren empfangen. Eine Besonderheit: Das Ehrenspalier bildet die Deutsch-Französische Brigade, die nun schon seit mehr als 30 Jahren existiert.

Die erste Station Macrons steht für den Blick zurück: Auf Schloss Ludwigsburg hatte 1962 der damalige Präsident Charles de Gaulle seine historische «Rede an die Jugend» gehalten, die den Weg zur Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags im Pariser Élysée-Palast im folgenden Jahr ebnete. Damit wurde die Aussöhnung der beiden Länder nach dem Zweiten Weltkrieg besiegelt, in dem de Gaulle den Widerstand gegen die deutschen Besatzer angeführt hatte. In Ludwigsburg redete er nun in der Sprache seiner ehemaligen Feinde zu den deutschen Jugendlichen. «Die Zukunft unserer beiden Völker (ist) der Grundstein, auf welchem die Einheit Europas gebaut (werden) kann und muss», sagte er.

Station 2: Jugend im Mittelpunkt, Kanzler in der Nebenrolle

In Berlin schlagen Steinmeier und Macron den Bogen zur heutigen Jugend. Sie besuchen gemeinsam ein Zukunftscamp des Deutsch-Französischen Jugendwerks, bei dem je 20 deutsche, französische und ukrainische Jugendliche eine Woche lang über für sie wichtige Themen diskutieren. Am Montagabend sind sie auch zum Staatsbankett im Park von Schloss Bellevue eingeladen – ein Novum. Normalerweise sind solche Bankette der Prominenz aus allen gesellschaftlichen Bereichen vorbehalten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sonst für Macron der wichtigste Gesprächspartner in Berlin ist, hat diesmal übrigens nur eine Nebenrolle. Er ist bei einer 15-minütigen Bootstour vom Schloss Bellevue zum Bundestag und einem anschließenden Spaziergang zum Brandenburger Tor dabei. Sonst wird Macron von Steinmeier begleitet, der ihn eingeladen hat und sein Gastgeber ist.

Station 3: Eine «sehr wichtige Rede» vor der Frauenkirche

Mit einem Sonderzug geht es am Dienstag weiter nach Dresden, von wo der Blick in die Zukunft gerichtet wird. Macron und Steinmeier besuchen das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme. Dresden zählt zu den führenden Hochtechnologie-Standorten Europas, und gerade in diesem Bereich sieht die französische Regierung neue Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beiden Ländern. Den Schwerpunkt Ostdeutschland hätten Paris und Berlin ganz bewusst gewählt, heißt es im Bundespräsidialamt.

Höhepunkt des Staatsbesuchs ist der Auftritt Macrons vor der Frauenkirche bei einem Europafest vor großem Publikum. Aus dem Élysée-Palast heißt es, in der «sehr wichtigen Rede» werde es darum gehen, wie die Beziehungen der beiden Länder für die Weiterentwicklung der Europäischen Union und darüber hinaus genutzt werden könnten.

Bisher keine gemeinsame Vision von der Rolle Europas in der Welt

Macron und Scholz haben dazu bisher unterschiedliche Vorstellungen geäußert. Der französische Präsident hat die Idee einer Supermacht Europa zwischen den USA und China mit einer größtmöglichen «strategischen Autonomie» ins Spiel gebracht. Scholz sieht das anders: «Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit», meint er. Außerdem betont der SPD-Politiker stets, wie wichtig ihm die transatlantische Partnerschaft mit den USA ist. Strategische Autonomie Europas ist nicht sein Ding.

Scholz und Macron hatten nach dem Regierungswechsel in Deutschland im Dezember 2021 auch sonst keinen guten Start. Immer wieder gab es Differenzen, vor allem in der Energie- und Verteidigungspolitik. In seiner europapolitischen Grundsatzrede in Prag vor einem Jahr erwähnte Scholz Frankreich erst gar nicht, was in Paris überhaupt nicht gut ankam.

Bundespräsidialamt will «gut geölte Kooperationsmaschine» feiern

Seit ein paar Monaten bemühen sich beide Seiten aber, die Kurve zu bekommen. Im Januar feierten die beiden Regierungen in Paris zusammen 60 Jahre Élysée-Vertrag. Vor wenigen Wochen besuchte Macron den Kanzler als erster Staatschef an dessen Wohnort in Potsdam. Der Staatsbesuch reiht sich nun in solche Versuche der Wiederannäherung ein. Aus dem Bundespräsidialamt heißt es, man wolle beim Staatsbesuch die deutsch-französische Freundschaft feiern, die im politischen Alltag allzu oft als selbstverständlich angesehen werde. «Sie ist eine gut geölte Kooperationsmaschine, die eigentlich meistens nur auffällt, wenn es ein bisschen ruckelt.»

Von der Versöhnung zum gemeinsamen Blick in die Welt

Es solle nun ein neues Kapitel in den Beziehungen aufgeschlagen werden. In den 60 Jahren seit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages sei es vor allem um Versöhnung, gute Nachbarschaft und wachsende Freundschaft zwischen den einst verfeindeten Staaten gegangen. «Dieses Kapitel ist gelungen», wird im Bundespräsidialamt betont. War der Blick bislang vor allem aufeinander gerichtet, so gehe es nun «um den gemeinsamen Blick in die Welt hinaus» – also um Zusammenarbeit in zentralen Fragen wie dem Klimawandel, neue geopolitische Herausforderungen wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie technologische Transformation und Künstliche Intelligenz.