Fußball-Nationalmannschaft

Nagelsmanns Erkenntnisse: Weltklasse, aber nicht am Ziel

Nach seinem höchsten Sieg als Bundestrainer vermeidet Julian Nagelsmann Superlative. Understatement ist nach dem 7:0 gegen Bosnien-Herzegowina aber nicht notwendig. Titelträume wirken realistisch.

Nach dem Tore-Festival gegen Bosnien-Herzegowina und dem Gruppensieg in der Nations League wurde Julian Nagelsmann nach einer Parallele zu einer der größten Sternstunden der deutschen Fußball-Geschichte gefragt. Dieses 7:0, das erinnerte womöglich, was Leichtigkeit und Spielfreude anging, an das legendäre 7:1 im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien? 

Diesen Vergleich wollte der Bundestrainer nicht komplett mitgehen, aber grundverkehrt fand er ihn auch nicht. «Die Spielwichtigkeit war damals deutlich größer, aber Lust hatten wir heute auch», sagte Nagelsmann. Wie passend, dass Weltmeister-Coach Joachim Löw in Freiburg im Stadion war. «Er hat sich sicherlich ganz ordentlich unterhalten gefühlt», sagte der Bundestrainer über seinen Vor-Vorgänger als Tribünengast.

Ordentliche Unterhaltung ist eine ordentliche Untertreibung für das, was die Nationalmannschaft im letzten Heimspiel des EM-Jahres mit ihrem Tore-Rausch geboten hatte. Nach dem zum Testspiel degradierten letzten Gruppenspiel in Ungarn am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) geht es für Nagelsmann im kommenden Jahr nun um den ersten Beweis der Titelfähigkeit im WM-Testlauf Nations League. Die Weichen sind in jedem Fall richtig gestellt.

Die Nationalmannschaft ist wieder Weltklasse

Was Oliver Bierhoff nach den Turnierenttäuschungen 2018 und 2021 als Projekt organisieren wollte, hat Julian Nagelsmann 2024 durch Taten geschafft. Die DFB-Elf gehört wieder zu den besten Teams der Welt. Das Prädikat Weltklasse ist wieder angebracht, auch wenn sich der Bundestrainer öffentlich noch verhalten ausdrückt. «Näher dran sind wir schon», sagte Nagelsmann. Doch am Ziel sieht er sich noch lange nicht, trotz der jüngsten Fußball-Feste. 

«Man kann es immer schwer bewerten, weil man nicht gegen jeden Gegner spielt. Es werden bessere Gegner kommen als heute, aber die Entwicklung ist eine gute. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber es ist immer noch ein Weg, ein Prozess, den wir gehen müssen», sagte der Bundestrainer. Bei der Auslosung des Viertelfinals am Freitag wünscht sich sicherlich niemand die deutsche Elf als K.o.-Konkurrenten.

Als Motor dient Nagelsmann die einzige große Enttäuschung des Jahres. «Wir haben eine ordentliche Heim-EM gespielt, sind aber trotzdem im Viertelfinale ausgeschieden, allein da liegt schon viel Geheimnis drin, dass wir weiter kommen wollen», machte er deutlich. 

Musiala ist ein unglaublicher Glücksfall

80 Sekunden brauchte Jamal Musiala. Dann war mit seinem erneuten Kopfballtor der erste Glücksmoment perfekt. Nagelsmann sieht in dem 21-Jährigen nicht nur den Fußball-Zauberer, als der er derzeit überall gefeiert wird. Der Münchner besticht für den Bundestrainer mit einem Wesenszug, der ihn zum Musterschüler macht. 

«Bei ihm können sich viele junge Spieler, die Profi werden wollen, was abschneiden. Er hört extrem zu, er will immer alles wissen, holt sich Szenen, will besser werden. Er hat nicht das Statusdenken, dass er der Superstar ist und nichts mehr lernt, er ist extrem offen und am Ende belohnt er sich selbst», geriet Nagelsmann ins Schwärmen. 

Der Konkurrenzkampf funktioniert

Wer etwas über den Charakter und den Konkurrenzkampf in dieser Nationalmannschaft lernen wollte, der musste nach einer guten Stunde genau hinschauen. Musiala, Florian Wirtz, Maximilian Mittelstädt und Robert Andrich raus. Serge Gnabry, Leroy Sané, Benjamin Henrichs und Felix Nmecha rein. Und nichts ändert sich. Deutschland spielt weiter auf Tempo und Tore. 

«Es steht 5:0 und wir bringen vier Spieler und alle vier geben Vollgas, das ist ein sehr guter Schritt», sagte Nagelsmann. Ein Gefühl, das auch Tim Kleindienst nach seinen Premieren-Toren teilte. «Jeder hat Bock, jeder hat Lust, geht ans Limit. Das ist schon schön zu sehen, dass das so aufgeht.»