Revolte in Russland beunruhigt EU-Länder
Die geplante Verlegung von russischen Söldnern der Gruppe Wagner nach Belarus hat beim EU-Gipfel erhebliche Sorge ausgelöst. Staaten wie Polen, Lettland und Litauen fürchten um die Sicherheit der östlichen Außengrenzen. Bundeskanzler Olaf Scholz erinnerte vor Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg an das Beistandsversprechen im Militärbündnis. «Jeder Angriff auf Nato-Territorium ist eine Sache, die wir gemeinsam beantworten werden», sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in Brüssel.
Beim EU-Gipfel bis zu diesem Freitag ist die weitere Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg eines der Topthemen. Auf der Tagesordnung standen zudem die künftige Migrationspolitik der EU und die wirtschaftliche Lage der Gemeinschaft sowie das Verhältnis zu China. Zu Beginn äußerten sich viele Gipfel-Teilnehmer aber vor allem zur unklaren Lage in Russland nach der Konfrontation des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin mit Präsident Wladimir Putin.
Prigoschin ließ am Samstag zeitweise seine Kämpfer Richtung Moskau marschieren, gab dann aber überraschend auf und erklärte sich bereit, ins EU-Nachbarland Belarus überzusiedeln - mit einer unbekannten Zahl von Söldnern.
Zu früh für endgültige Schlussfolgerungen
Die Nato will aktuell keine Prognose über sicherheitspolitische Auswirkungen von Prigoschins Aufstands geben. «Es ist zu früh, um endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen - auch weil noch nicht klar ist, wie viele der Wagner-Kräfte in Belarus oder anderswo landen werden», sagte Stoltenberg am Rande des EU-Gipfel
Bundeskanzler Scholz stellte klar: «Unser Ziel hier ist nicht ein Regierungswechsel, ein Regime Change in Russland. Unser Ziel, das wir verfolgen, ist eine unabhängige Ukraine.» Auf eine Frage zu möglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine sagte Scholz: «Wir haben uns als Staaten verpflichtet, dass wir auch zukünftig der Ukraine etwas schulden, was ihre Sicherheit betrifft.»
Auf weitreichende Sicherheitsgarantien der gesamten EU kann die Ukraine aber wohl vorerst nicht zählen. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer machte deutlich, dass sein Land wegen seiner Neutralität für solche Zusagen die notwendige Zustimmung verweigern würde. Zudem hätten auch Irland, Malta und Zypern klar Bedenken angemeldet, erklärte er.
Polen stärkt Ostgrenze
Polen hatte am Mittwochabend bekanntgegeben, wegen der geplanten Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus seine Ostgrenze noch stärker sichern zu wollen. Geplant sei sowohl eine Aufstockung der dort stationierten uniformierten Kräfte als auch eine Erhöhung der Anzahl «verschiedener Arten von Hindernissen und Befestigungen zum Schutz unserer Grenze im Falle eines Angriffs», sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski.
Der lettische Regierungschef Krisjanis Karins sagte, die Tatsache, dass in Belarus eine unbekannte Zahl von ausgebildeten Kämpfern stationiert werde, könne zur Bedrohung werden. «Die Bedrohung wäre wahrscheinlich nicht eine frontal militärische, sondern der Versuch der Infiltration Europas für unbekannte Zwecke. Das bedeutet, dass wir den Grenzen besondere Aufmerksamkeit widmen müssen und sicherstellen müssen, dass wir das kontrollieren können.» Litauen kündigte seinerseits am Donnerstag an, die Kontrollen an seinen Grenzen zu Russland und Belarus zu verstärken.
Überschattet werden könnte der Gipfel vom Streit über die Begrenzung von Migration und die Verteilung von Geflüchteten in der EU. Ungarn und Polen hatten sich zuletzt sehr kritisch über den von den EU-Innenministern erreichten Kompromiss geäußert und eine Vetodrohung in den Raum gestellt. Bundeskanzler Scholz zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt. Der vereinbarte Solidaritätsmechanismus sei ein großer Durchbruch und etwas, das man schon lange zuvor gebraucht hätte, sagte der SPD-Politiker.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzte sich beim EU-Gipfel für mehr legale Migration nach Europa ein. Dies sei «auch ein Weg, um die kriminellen Aktivitäten von Schleusern und Menschenhändlern zu bekämpfen», sagte die Deutsche. Aus dem gleichen Grund seien Investitionen in die wirtschaftliche Stabilität der Herkunftsländer wichtig, um sicherzustellen, dass es qualifizierte, legale und sichere Migration gebe. Sie kündigte Berichte dazu an, wie man die EU-Außengrenzen stärken könne.