Saudi-Arabien: Zwischen Reformen und Repression
Im weißen Renn-Overall und mit türkisfarbenem Helm schreitet Rima Dschuffali zu ihrem Gran Tourismo-Wagen, kurze Zeit später braust sie über einen von Bremsspuren überzogenen Parcours. Die GT-Autorennfahrerin aus Saudi-Arabien, der in sozialen Medien Zehntausende folgen, verkörpert wohl die ultimative Steigerung dessen, was in dem konservativ regierten Königreich vor einigen Jahren undenkbar war: Frauen allein am Steuer – und das mit Spaß bei der Sache.
Fünf Jahre sind vergangen, seit in Saudi-Arabien ein über Jahrzehnte geltendes Fahrverbot für Frauen gekippt wurde. Das letzte Land der Welt, in dem Frauen nicht Auto fahren durften, machte Schlagzeilen mit dem Schritt, der aus Sicht von Befürwortern überfällig war und der den mühsamen Kampf für mehr Frauenrechte vorantrieb. Feierlich setzten sich saudische Frauen erstmals legal ans Steuer und konnten ihr Glück über etwas, das für Hunderte Millionen andere Frauen weltweit Alltag war und ist, erst langsam fassen.
Männer haben für vieles Vormundschaft
Ultrakonservativen Stimmen zum Trotz sind die Autofahrerinnen heute Normalität. Sie steuern Autos für Fahrdienste wie Uber und Careem, der Online-Händler Amazon wirbt sie an als Liefer-Fahrerinnen in ländlichen Gegenden. Im Land, in dem Frauen immer noch für vieles die Erlaubnis oder Gegenwart eines Mannes brauchen, ist es ein Schritt zu mehr Unabhängigkeit. Ähnlich wie in den meisten Teilen der USA ist ein Alltag in Saudi-Arabien ohne Auto nur schwer zu bewältigen.
Über dieser und anderen Neuerungen – die Öffnung von Kinos, Visa für Touristen, gelockerte Kleidervorschriften – hängt jedoch ein dunkler Schatten. «Sie erlauben Frauen das Autofahren, aber inhaftieren und foltern diejenigen, die dafür gekämpft haben», sagt Lina al-Hathlul, Advocacy-Chefin bei der Menschenrechtsorganisation ALQST. Ihre Schwester, die berühmte Aktivistin Ludschain al-Hathlul, hatte sich für die Aufhebung des Fahrverbots stark gemacht – und wurde kurz vor dem großen Schritt zusammen mit weiteren Aktivisten festgenommen. In ihrer Haft wurde sie gefoltert. Inzwischen wurde sie freigelassen, unterliegt aber wie ihre Eltern einem Reiseverbot.
Frauen müssen sich unterwerfen
Die Unterdrückung kritischer Stimmen hat sich inzwischen verschärft. 10, 20 und in einem Fall 45 Jahre Haft verhängten saudische Gerichte unter anderem für Aktivitäten beim sozialen Netzwerk Twitter. Von «tiefer und systematischer Unterdrückung in einem Polizeistaat» spricht Lina al-Hathlul. Zuletzt traf es die Fitnesslehrerin Manahil al-Otaibi, die sich in sozialen Medien für ein Ende des Systems männlicher Vormundschaft ausgesprochen hatte. Rechtlich muss eine Frau ihrem Ehemann etwa immer noch «Gehorsam» leisten und darf Sex nur aus «legitimen Gründen» verweigern.
Besuche in Ballungsräumen wie Riad und Dschidda fühlen sich durchaus nach Moderne an, in schicken Einkaufszentren sieht man dort auch locker gekleidete Frauen mit offenem Haar. Aber diese Orte wie auch das Internet sollen nur Konsum und Unterhaltung dienen – bunte Spielwiesen, frei von Kritik. Das saudische Staatsfernsehen strahlte vor einigen Monaten ein Interview mit einem Häftling aus, der für einen Tweet verurteilt wurde. Er habe jetzt eingesehen, dass das, was er für reine «Kritik» hielt, eine Straftat darstellt.
Gleichstellung für den Schein?
Darüber sollten sich auch Touristen im Klaren sein. «Die sozialen Medien werden streng überwacht», warnt das Auswärtige Amt diejenigen, die das Königreich besuchen wollen. Gleichzeitig bemüht sich das Land um eine attraktive Außenwirkung: Beworben werden Sehenswürdigkeiten wie die antike Stadt Al-Ula, es gibt Popkonzerte, Ausstellungen und Sport-Events. 2030 will das Land die Weltausstellung Expo ausrichten und laut Berichten mit Griechenland, Ägypten und Iran im selben Jahr die Fußball-WM.
Ohne zumindest scheinbare Fortschritte bei den Frauenrechten geht das nicht. Zu den groß beworbenen Neuerungen gehörten: die erste Astronautin, die erste Zugführerin, die erste Profi-Boxerin, die ersten Frauen als Botschafterinnen. Für die Autofahrerinnen kam eine Studie der Harvard-Universität zum Ergebnis, dass 2020 nur zwei Prozent aller Frauen im Land einen Führerschein erworben hatten. Als Hauptgründe wurden die hohen Kosten für Fahrstunden und beim Kauf eines Autos genannt. Bedeutet in den meisten Fällen aber wohl auch: Den Schlüssel zum Auto der Familie verwahrt weiterhin ein Mann.