«Schach mit Kühlschränken»: Deutschland im NFL-Fieber
Der Boom kam für Markus Kuhn quasi aus dem Nichts. Dass die amerikanische Football-Liga NFL vor fast 50 000 Fans in Frankfurt stattfindet, hätte der ehemalige Profi nie für möglich gehalten.
«Als ich 2001 anfing, American Football zu spielen, wurde ich von meinen Klassenkameraden noch komisch angeguckt», erzählte der 37 Jahre alte Kuhn, der 2014 als erster Deutscher einen Touchdown in der US-Profiliga erzielte. Die TV-Übertragung der Spiele nahm zu – und in Deutschland begann ein regelrechter Hype. «Dass es so ist wie jetzt, hätte ich mir in hundert Jahren nicht erträumen können», sagte Kuhn.
Nach wenigen Minuten ausverkauft
Die beiden NFL-Spiele in Frankfurt waren bereits nach wenigen Minuten ausverkauft. Millionen Interessierte gingen leer aus. Dabei handelt es sich um zwei reguläre Ligaspiele in der neunten und zehnten Woche der Saison. Erst nach 18 Wochen geht es in der NFL in die K.o.-Phase. Das beste Team darf beim Saisonendspiel, dem Super Bowl, die Lombardi-Trophäe in die Höhe halten. Doch bis dahin dauert es noch.
Bei den «Frankfurt Games» am 5. und 12. November (jeweils 15.30 Uhr/RTL und DAZN) laufen echte Top-Teams auf. Der aktuelle Super-Bowl-Champion Kansas City Chiefs um Star-Quarterback Patrick Mahomes trifft zunächst auf die Miami Dolphins. Eine Woche später begegnen sich der sechsfache Titelträger New England Patriots und die Indianapolis Colts.
Eine Entwicklung, die NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth begeistert. «Deutschland hat sich in vielen Bereichen zum wichtigsten NFL-Markt außerhalb der USA entwickelt», sagte der Manager. Demnach zeigen jüngste Umfragen, dass es in Deutschland etwa 18 Millionen Fans gibt, davon 3,6 Millionen, die die NFL intensiv verfolgen. Dies spiegle sich auch in den steigenden Merchandising-Verkäufen und den TV-Einschaltquoten wider. «Wir haben eine hervorragende mediale Abdeckung in Deutschland und die NFL-Community liebt den Entertainment- und Event-Charakter im Football», hob Steinforth hervor.
ranNFL erfreut sich großem Zuspruch
Die Zeiten, in denen nur der Super Bowl im deutschen TV übertragen wurde, sind vorbei. Wer nichts mit Begriffen wie Fumble oder Snap anfangen konnte, dem half unter anderem das Sportmagazin ranNFL (ProSiebenSat.1). Vor der aktuell laufenden Saison hatte sich RTL erstmals die Übertragungsrechte gesichert. Im Durchschnitt schalteten in den ersten acht Saisonwochen rund 750.000 Zuschauer zu den Spielen um 19.00 Uhr ein, wie der Sender mitteilte. Das Interesse sei nach Senderangaben bei jungen Männern zwischen 14 und 29 Jahren besonders hoch.
Doch woher kommt die Faszination? Laut Kuhn verbindet American Football alles, was einen Sport interessant macht. «Athletik? Ist bei uns abgebildet. Physis? Haben wir. Taktische Komponenten? Auch dafür sind wir die richtige Adresse», sagte Kuhn, der unter anderem als TV-Experte und Markenbotschafter der New England Patriots tätig ist. «Wir spielen eben – wie man so schön sagt – das Schach mit Kühlschränken.»
Zudem sei der Wettbewerb sehr ausgeglichen. «Die ganze Liga ist darauf ausgerichtet, dass eigentlich jedes Jahr, jedes Team die gleichen Chancen hat, den Super Bowl zu gewinnen – und, dass jeder Spieler, aber auch jeder Fan das Gefühl hat: 'Dieses Jahr könnte unser Jahr sein'», erklärte Kuhn. Grund dafür sei vor allem das Draftsystem, bei dem das schlechteste Team der Vorsaison bessere Chancen hat, vielversprechende Talente unter Vertrag zu nehmen.
Deutschland-Hype nicht zufällig
Dass der Sport gerade in Deutschland einen Hype erfährt, sei nicht zufällig, sagte Tim Ströbel, Professor für Marketing und Sportmanagement an der Universität Bayreuth. Ziel der NFL-Strategen sei, neue Einnahmequellen zu erschließen. Deutschland eigne sich mitunter durch jahrzehntelange Football-Erfahrung: Bereits 1979 wurde die Deutsche Liga für American Football (GFL) gegründet. Von 1998 bis 2007 hatte die NFL einen eigenen Ableger in Europa – mit dabei der mehrmalige Titelträger Frankfurt Galaxy. Und vor knapp einem Jahr trafen die Tampa Bay Buccaneers beim ersten NFL-Spiel in Deutschland in München auf die Seattle Seahawks. Die Begeisterung war riesig.
«Auch für jüngeres Publikum ist die Sportart ansprechend, da sie sich immer nur auf kurze Spielsequenzen konzentrieren müssen», sagte Ströbel. Das Spiel sei trotz stundenlanger Dauer sehr «handykompatibel.» Ebenso locke der Entertainment-Charakter: «Wenn jetzt ein Spieler mutmaßlich mit Taylor Swift zusammen ist, dann wird sie eingeblendet, sooft es geht.» Die NFL wisse wie kaum eine andere Sportliga, solche Geschichten zu nutzen.
Wird sich diese riesige Begeisterung halten? Steinforth ist als NFL-Deutschland-Chef zuversichtlich: «Schauen wir in die Zukunft, dann sind wir davon überzeugt, dass der aktuelle NFL-Hype zu einem langfristigen und stetigen Wachstum unserer Fan-Community führen wird.» Im Rahmen des Vierjahresplans mit der NFL werden noch weitere Spiele in Deutschland stattfinden.