Der kollektive Druck von US-Demokraten auf Präsident Joe Biden wird immer stärker. Allein am Freitag wagten sich etwa ein Dutzend weitere Demokraten aus dem US-Kongress vor, um ihren Parteikollegen öffentlich zum Ausstieg aus dem Präsidentschaftsrennen aufzufordern. Auch der Ton wird dabei rauer. So legte ein Abgeordneter offen, wie Biden ihn jüngst bei einer Begegnung nicht mehr erkannt habe.
Der Amtsinhaber, der sich derzeit wegen einer Corona-Infektion isoliert und öffentlich nicht auftritt, gibt sich nach außen hin bislang unbeeindruckt von der parteiinternen Rebellion und kündigte für die kommende Woche seine Rückkehr auf die Wahlkampf-Bühne an. US-Medien zufolge schließt der 81-Jährige angesichts des enormen Widerstandes in den eigenen Reihen insgeheim einen Rückzug aber nicht mehr kategorisch aus.
Die Zahl der Kritiker wächst unaufhörlich
Hintergrund der Revolte sind Zweifel an der geistigen Fitness des Präsidenten - und seiner Fähigkeit, sein Amt weitere vier Jahre auszuüben. Eine neue Welle an demokratischen Kongressabgeordneten äußerte am Freitag Sorge, dass Biden die Präsidentenwahl gegen seinen republikanischen Kontrahenten Donald Trump verlieren und die Partei womöglich künftig in keiner der beiden Parlamentskammern mehr das Sagen haben dürfte. Mittlerweile haben etwa drei Dutzend Parlamentarier aus beiden Kammern Biden offen dazu aufgerufen, aus dem Rennen um eine zweite Amtszeit auszusteigen.
Hinter den Kulissen versucht Medienberichten zufolge auch die allererste Reihe der Partei, Biden zum Rückzug zu bewegen, darunter die beiden Top-Demokraten aus dem Kongress, Chuck Schumer und Hakeem Jeffries, wie auch die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses und weiterhin einflussreiche Demokratin, Nancy Pelosi. Bidens früherer Chef, Ex-Präsident Barack Obama soll ebenfalls Bedenken geäußert haben. Unter jenen Demokraten, die sich mit öffentlichen Rückzugsforderungen vorgewagt haben, sind mehrere enge Verbündete Pelosis.
Die konzertierte Aktion aus der eigenen Partei ist bemerkenswert. Auch die Tatsache, dass nichtöffentliche Wortmeldungen der einflussreichsten Demokraten im Land in den vergangenen Tagen parallel nach außen drangen, dürfte kein Zufall sein.
«Zum ersten Mal schien er mich nicht zu erkennen»
Der demokratische Abgeordnete Seth Moulton aus dem Bundesstaat Massachusetts beschrieb in seiner Rückzugsforderung eine Begegnung mit Biden am Rande der Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des D-Days. «Zum ersten Mal schien er mich nicht zu erkennen», schrieb Moulton. Das könne zwar mit zunehmendem Alter passieren, er glaube aber, dass seine Erfahrung in der Normandie «Teil eines tieferen Problems» sei.
Biden hat sich nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth Delaware zurückgezogen. Er nimmt derzeit keine Termine wahr. Öffentlich hat er alle Rückzugsforderungen bislang entschieden zurückgewiesen. Auch sein Wahlkampfteam betont beharrlich, er habe nicht vor, hinzuschmeißen.
Rückkehr auf die Wahlkampfbühne?
Der Arzt des Präsidenten teilte mit, die Covid-Symptome bei Biden hätten sich bereits deutlich gebessert. Biden kündigte an, er wolle in den nächsten Tagen wieder Wahlkampf machen. «Ich freue mich darauf, nächste Woche wieder auf die Wahlkampftour zu gehen», hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme des US-Präsidenten. Er wolle bei den Menschen im Land weiter vor der Gefahr durch die Politik Trumps warnen und gleichzeitig für seine eigene Vision für das Land werben. «Es steht viel auf dem Spiel», mahnte er und rief seine Partei einmal mehr zu Geschlossenheit auf: «Gemeinsam werden wir gewinnen.»
Um die Gemeinsamkeit ist es bei den Demokraten derzeit aber nicht besonders gut bestellt. Als möglicher Ersatz für Biden ist in den vergangenen Wochen Bidens Stellvertreterin Kamala Harris mehr und mehr in den Fokus gerückt. Sie ist während Bidens Abwesenheit weiter im Wahlkampf unterwegs und machte am Freitag einen öffentlichkeitswirksamen Stopp in einer Eisdiele in der Hauptstadt Washington. Die sind üblicherweise dem bekennenden Eis-Liebhaber Biden vorbehalten.