Sorge um schiefen Garisenda-Turm in Bologna
Orangefarbene Zäune und Flatterband sperren den Weg zu einem der wichtigsten Symbole Bolognas ab und prägen so das Bild im historischen Stadtkern. Ein ungewöhnlicher Anblick, doch die norditalienische Großstadt bangt um eines ihrer Wahrzeichen: Der berühmte schiefe Garisenda-Turm bereitet Stadtverwaltung und Experten wegen neuer Risse im Mauerwerk und jüngst festgestellter Schwankungen zunehmend Sorgen.
Die Experten, die den Turm und seine Bewegungen seit Jahren beobachten, schreiben in einem vorgezogenen wissenschaftlichen Bericht an den Bürgermeister gar von der «höchsten Alarmstufe». Die Angst vor einem Einsturz des Steinriesen ist zurück.
Die beiden schiefen Türme Garisenda und Asinelli gehören zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Bologna. Sie stehen auf der zentralen Piazza di Porta Ravegnana und prägen das Stadtbild. Seit Jahrhunderten ziehen die Zwillingstürme, die aus der Luft betrachtet wie Wolkenkratzer aus dem engen Stadtkern herausragen, die Menschen in ihren Bann. Schon der italienische Nationaldichter Dante Alighieri schrieb in seiner Göttlichen Komödie über den Garisenda-Turm und erwähnte ihn später noch einmal in einem Sonett.
Auch in Deutschland stehen schiefe Türme
Von den beiden Zwillingstürmen ist vor allem der kleinere Garisenda-Turm auffällig schief: Er hat eine Höhe von 48 Metern und eine Neigung von 3,20 Metern und knapp vier Grad. Erbaut wurde der Torre della Garisenda im Auftrag einer reichen Familie im Jahr 1109. Ursprünglich war er 60 Meter hoch, musste jedoch schon im 14. Jahrhundert wegen erster Konstruktionsfehler abgesenkt werden.
Als Gründe für die Neigung des Turms werden von Experten das Fundament und Grundwasserabsenkung genannt. Als der Garisenda-Turm erbaut wurde, prägten mehrere solcher «Wolkenkratzer» das Bologna des 12. Jahrhunderts. Einflussreiche und wohlhabende Familien erbauten rund 150 Geschlechtertürme und versuchten, ihren eigenen höher als den vorherigen zu bauen. Neben dem Garisenda-Turm steht der doppelt so hohe Asinelli-Turm, der aktuell stabil steht.
Schiefe Türme sind weltweit nichts Ungewöhnliches. Der Klassiker unter den schiefen Türmen steht in Pisa mit einem Neigungswinkel von fast vier Grad, er ist einen Tick schiefer als der Garisenda-Turm. Schon kurz nach Baubeginn im 12. Jahrhundert gab es Probleme mit der Statik des frei stehenden Glockenturms, weil der Boden unter dem Fundament wegsackte. Viele Rettungsversuche haben bis heute verhindert, dass der Turm umfällt.
Auch in Deutschland stehen einige schiefe Türme. Gemessen am Neigungswinkel führt im Moment der ehemalige Wehrturm im rheinland-pfälzischen Gau-Weinheim nahe Mainz die offizielle Liste an. Das Rekord-Institut für Deutschland (RID) bestätigte im September 2022 einen Neigungswinkel von 5,43 Grad. Damit toppte der Turm den rund 27 Meter hohen Kirchturm von Suurhusen in Ostfriesland. Dieser bringt es auf einen Neigungswinkel von 5,19 Grad.
Besonders ungewöhnliche Schwankungen
In Bologna überwacht seit 2018 ein wissenschaftlich-technisches Komitee die beiden schiefen Türme - vor allem die Risse in dem Mauerwerk und die Schwankungen und Schwingungen, die mit dem bloßen Auge nicht zu sehen sind, werden untersucht.
Im Oktober stellten die Experten besonders ungewöhnliche Schwankungen fest. Die Stadtverwaltung von Bologna sperrte deswegen den Platz rund um die beiden Türme für Besucher. Der Platz soll nach Angaben der Stadt einige Jahre gesperrt bleiben. Auch Busse wurden umgeleitet, da die Sorge bestand, die Erschütterungen auf der Straße könnten Risse vertiefen. Nun soll geprüft werden, wie man die Faktoren, die zu Rissen führen, reduzieren kann. Es wurde bereits eine Eisenstruktur um das Mauerwerk befestigt.
Den Experten des eigens für den Garisenda-Turm einberufenen Komitees geht das allerdings nicht schnell genug. Die Gefahrensituation sei stark, aber auch unvorhersehbar, sagte der Architekt Amedeo Bellini der Zeitung «La Repubblica». «Wir können nicht sagen, ob dem Turm nichts passieren wird oder ob es einen teilweisen oder plötzlichen Einsturz geben wird.» Und sollte dies eintreten, könne man vor allem nicht wissen, «ob es morgen oder in einem Monat passiert», so Bellini. Die Stadt solle Maßnahmen zur Sicherung ergreifen.
Die Qualität des Mauerwerks sei durch verschiedene Einflüsse so schlecht wie noch nie, sagte Sergio Lagomarsino, Professor für Bautechnik. Daher sei zwar keine Panik angebracht, aber absolute Vorsicht.