Sorge vor Rechtsruck bei Start von Spaniens EU-Ratsvorsitz
Bedroht die vorgezogene Parlamentswahl in Spanien wichtige europäische Projekte wie die geplante Asylreform oder die weitere Unterstützung der Ukraine? Ursula von der Leyen und Pedro Sánchez geben sich am Montag auf der Pressekonferenz zum Start der spanischen EU-Ratspräsidentschaft betont gelassen. «Absolute Normalität» werde es geben, sagte Sánchez am Montag. Von der Leyen sagte, sie vertraue darauf, dass die spanische Regierung eine effiziente Präsidentschaft ausüben werde – wie auch immer die Parlamentswahl am 23. Juli ausgehen sollte.
Von der umstrittenen EU-Asylreform bis zur zusätzlichen Unterstützung für die Ukraine: Die spanische Regierung soll bis Jahresende als Vorsitz des EU-Ministerrates große europäische Projekte voranbringen. Die Wahl in dem nach Bevölkerung viertgrößten Land in der EU bereitet Brüssel nun allerdings große Sorgen. Was, wenn es nach dem Urnengang in knapp drei Wochen keine stabile Regierung mehr gibt, lautet eine Frage. Oder was, wenn die Konservativen mit Hilfe der Rechtspopulisten nach der Macht greifen?
Der Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Madrid hatte deswegen Brisanz. Gemeinsam mit etlichen anderen Kommissarinnen und Kommissaren war die deutsche Spitzenpolitikerin in die spanische Hauptstadt gereist, um mit der amtierenden Regierung die Themen der nächsten Monate zu besprechen.
Auf dem Programm des Treffens im Kunstmuseum Galería de Colecciones Reales standen unter anderem Gespräche zur weiteren Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine. Von der Leyen hatte zuletzt vorgeschlagen, dafür ein neues Finanzierungsinstrument zu schaffen. Es soll zunächst mit bis zu 50 Milliarden Euro ausgestattet werden.
Heikler Auftritt
Für die EU-Kommissionspräsidentin waren die Auftritte mit dem sozialistischen Regierungschef Sánchez eher heikel. Als CDU-Mitglied gehört sie der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP an und müsste eigentlich Sánchez’ Rivalen Alberto Núñez Feijóo die Daumen drücken. Der aber hat nicht ausgeschlossen, nach der Parlamentswahl am 23. Juli mit der rechtspopulistischen Partei Vox zusammenzuarbeiten, um neuer spanischer Ministerpräsident zu werden.
Umfragen zufolge dürfte die PP die meisten Stimmen bekommen und die PSOE von Sánchez als stärkste Kraft ablösen. Zwar beteuert Feijóo, er wolle allein regieren, aber eine absolute Mehrheit scheint außer Reichweite. Dann wäre er auf Vox angewiesen, die zwar für eine weitere Unterstützung der Ukraine ist, aber einen Rückbau der EU hin zu einem Europa der Vaterländer propagiert, Maßnahmen gegen den Klimawandel ablehnt und alle Ausländer ohne legalen Status deportieren will.
In weiten Teilen der EU-Kommission wird diese Option mit Schrecken gesehen. Grund ist, dass Vox die von der EU-Kommissionspräsidentin vorangetriebenen Klima- und Umweltschutzprojekte stoppen will und wie Partnerparteien in Ungarn und Polen ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit hat. Vox-Chef Santiago Abascal stört auch die Rolle Deutschlands und Frankreichs in der EU. «Diese deutsch-französische Achse, die bisher alles diktierte, gehört der Vergangenheit an», sagte er kürzlich.
«Eine Schande» für Spanien und für Europa
Sánchez bezeichnete in einem Interview mit der Zeitung «El Periódico» am Wochenende eine mögliche Regierung aus PP und Vox als «eine Schande» für sein Land und für Europa. Spanien und Europa brauchten eine «pro-europäische Regierung» und keine, die sich mit anderen Nationen verbünde, deren «Regierungen offen gegen das europäische Projekt sind».
Sollte Vox an der Regierung in Spanien beteiligt werden, dürften Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Polens Premier Mateusz Morawiecki jubeln. Beide stehen seit Jahren mit von der Leyen auf Kriegsfuß, weil diese ihnen gravierende Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und andere Grundwerte der EU vorwirft und dafür gesorgt hat, dass ihnen bis auf Weiteres bestimmte Fördermittel aus dem EU-Haushalt nicht ausgezahlt werden. Eine andere Befürchtung in der EU-Kommission ist, dass eine schwierige Regierungsbildung in Madrid laufende EU-Gesetzgebungsvorhaben verzögern könnte.
Problematisch wären längere Verzögerungen in den nächsten Monaten vor allem wegen der Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dahin nicht mit dem derzeitigen Parlament ausgehandelt sind, können anschließend wieder infrage gestellt werden. Besonders gilt dies für die umstritten Pläne für die Reform des europäischen Asylsystems. Sollte Spanien aus dem Lager der Befürworter der Reform ins Lager der Gegner wechseln, könnte dies das Aus für die Pläne bedeuten.