Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich besorgt über den stärker werdenden Rechtspopulismus in Deutschland gezeigt. In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» rief er die Bürgerinnen und Bürger zu einer verantwortungsbewussten Stimmabgabe bei den bevorstehenden Wahlen auf.
«Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, stellen wir fest: Extremisten waren immer das Unglück unseres Landes.» Steinmeier wies in diesem Zusammenhang auch auf das soeben bekannt gewordene Treffen rechtsextremer Kreise mit AfD-Funktionären in Potsdam hin. Dies zeige, «dass wir sehr wachsam sein müssen».
Die AfD liegt in den Meinungsumfragen bundesweit stabil über 20 Prozent. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo im September neue Landtage gewählt werden, kommt sie auf über 30 Prozent. Den Umfragen zufolge ist sie in allen drei Bundesländern die mit Abstand stärkste Kraft.
Steinmeier hält wenig von Verfahren zum Verbot der AfD
Deutschland habe mit seiner Demokratie, wie sie das Grundgesetz geprägt habe, bisher sehr gut gelebt, sagte Steinmeier. «In diesem Land ist vieles gelungen, wonach andere sich sehnen.» Gelungen sei dies, weil es auch nach scharfen politischen Auseinandersetzungen die Bereitschaft zum Kompromiss gegeben habe. «Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das jeder Wähler vor der Stimmabgabe sehr nachdrücklich in Erinnerung ruft.» Er hoffe, dass jeder, der wähle, «das nicht nur in einer Stimmung von Wut oder Frust tut - sondern auch im Bewusstsein über die Folgen».
Steinmeier machte deutlich, dass er wenig von einem Verfahren zum Verbot der AfD hält. Er könne die Erfolgsaussichten nicht beurteilen, ein Verfahren würde vermutlich auch sehr lange dauern. «Ich rate dazu, dass wir uns auf das konzentrieren, was unmittelbar in diesem Jahr möglich und notwendig ist: Wir sollten die besseren Antworten geben, wir sollten demokratische Mehrheiten organisieren und diese stärken.»
«Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert»
Steinmeier ruft die Bundesregierung zudem dazu auf, bei wichtigen Entscheidungen stärker die Bürger mitzunehmen und auch die Opposition einzubinden. Die vielen aufeinanderfolgenden Krisen schafften Verunsicherung, sagte er mit Blick auf die schlechten Umfragewerte der Ampel-Koalition. «Klar ist aber auch: Wenn die Glaubwürdigkeit einer Regierung sinkt, hängt das auch damit zusammen, dass Entscheidungen nicht ausreichend kommuniziert oder akzeptiert worden sind oder von internem Streit, der nach außen dringt, überlagert werden. Die Regierung muss ein Interesse daran haben, das zu verbessern.»
Die Debatten in Deutschland seien hitziger geworden und es gebe eine wachsende Akzeptanz populistischer Positionen, die das Regieren schwerer machten, sagte Steinmeier. «Das löst Unruhe aus, auch bei den politischen Verantwortlichen. Umso wichtiger ist es, die Kraft zur Zusammenarbeit zu finden.»
Der Bundespräsident betonte: «Die Bürger haben die Erwartung, dass die Verantwortlichen in den Parlamenten erkennen, wenn es wirklich ums Ganze geht.» Es habe in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder Situationen gegeben, wo Regierung und Opposition auch nach schärfsten Auseinandersetzungen zusammengekommen seien - etwa bei den Fragen der Westbindung, der Ostverträge oder beim Asylkompromiss 1993. «Ich hoffe, dass das auch jetzt nicht ausgeschlossen ist.»
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beklagt seit langem, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf Angebote zur Zusammenarbeit etwa für einen parteiübergreifenden Kompromiss zur Begrenzung der ungeordneten Zuwanderung nach Deutschland nicht eingehe. Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten monieren, dass das Verhältnis zwischen Bund und Ländern so schlecht sei wie seit langem nicht mehr. Der Bund treffe viele Entscheidungen treffe, ohne die davon tangierten Länder daran zu beteiligen