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Studie findet rechtsextreme Ansichten in Ostdeutschland

Die Debatte über die starken AfD-Werte läuft schon, der Streit über Klischees und die Benachteiligung Ostdeutscher ebenfalls. Nun liefert ein «Policy Paper» aus Leipzig neuen Zündstoff.

Studie findet rechtsextreme Ansichten in Ostdeutschland

Schon wieder: Eine neue Studie aus Leipzig bescheinigt den ostdeutschen Bundesländern abermals deutliche rechtsextreme Tendenzen - vergleichsweise viele Menschen äußern starke Vorurteile gegen Ausländer und Juden, wünschen sich eine «einzige starke Partei» und ein mächtiges Deutschland.

Die rechte AfD nutze dies und habe noch ein großes Reservoir, vor allem unter Nichtwählern mit extrem rechten Ansichten, heißt es in dem vorgestellten «Policy Paper» des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig.

Die Ergebnisse speisen die Debatte, die seit dem Wahlsieg des AfD-Politikers Robert Sesselmann im thüringischen Sonneberg und den starken Umfragewerten der Rechtspartei im Osten ohnehin wogt. Zugleich bieten sie Zündstoff im Streit über wiederkehrende Klischees zu Ostdeutschland, wie sie der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann in seinem Bestseller «Der Osten, eine westdeutsche Erfindung» beklagt. Der Osten braun, demokratiekritisch, frustriert - schon wieder?

Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen auffällig

Die Autoren um die Professoren Elmar Brähler und Oliver Decker haben für die Studie «Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie» gut 3500 Menschen in Ostdeutschland befragen lassen und damit eine solide Datenbasis. Und sie haben Vergleichswerte seit 2002. Daraus lässt sich schließen, dass das alles tatsächlich nicht neu ist: «Die politische Einstellung ist im Gegenteil seit dreißig Jahren trotz leichter Schwankungen relativ stabil.»

Die Zahl der Befragten reicht nach Angaben der Autoren auch aus, um Unterschiede zwischen den fünf Bundesländern aufzuzeigen. Demnach gilt grob gesagt: Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen auffällig, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern etwas weniger.

Die Wissenschaftler haben 18 Punkte abgefragt, die für ein rechtsextremes Weltbild stehen, und dabei fünf Antwortmöglichkeiten in von «stimme voll und ganz zu» bis «lehne völlig ab» gelassen. Die Werte bei Fragen zu Migration sind am eindeutigsten.

So stellten sich 41,3 Prozent der Befragten voll oder überwiegend hinter die Aussage «Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen» und 36,6 Prozent hinter den Satz: «Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.» Hinzu kommen weitere Menschen, die diese Aussagen zum Teil unterstützten - die Autoren sprechen von einer «latenten Zustimmung».

Hohe Werte gibt es auch bei autoritären Ansichten. So stimmten 26,3 Prozent der Befragten der Aussage voll oder überwiegend zu, Deutschland brauche jetzt eine «einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert». 14 Prozent fanden die Aussage richtig: «Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert». Für knapp 9 Prozent ist die «Diktatur die bessere Staatsform». Jeweils knapp 9 Prozent stimmen ganz oder überwiegend zu, wenn es heißt: «Juden haben etwas Eigentümliches an sich und passen nicht zu uns» oder «Juden arbeiten mehr als andere mit üblen Tricks».

Unzufriedenheit mit der Demokratie im Alltag

Bei starker Unterstützung für alle oder fast alle der 18 Thesen, sprechen die Autoren von einem «geschlossen rechtsextremistische Weltbild». Das zeigen demnach 7,1 Prozent der Befragten. Der Wert liegt etwas unter vergleichbaren Studien für die Jahre 2002 bis 2010, als 8,0 Prozent ermittelt wurden, und die Jahre 2012 bis 2020 mit 9,7 Prozent. Dennoch sei dies «ein sehr hoher Prozentsatz, mit dem eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Demokratie verbunden ist», heißt es in der Studie.

Die Unterstützung für die Idee der Demokratie und die verfassungsmäßige Ordnung ist der Studie zufolge im Prinzip hoch, doch herrscht große Unzufriedenheit mit der Demokratie im Alltag. 77,4 Prozent der Befragten sagen: «Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut.» Und 64,6 Prozent stimmen der Aussage zu: «Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren.»

Brähler und Decker wiesen darauf hin, dass dieser Demokratie-Verdruss nicht aus dem nichts komme. Bei der Vereinigung sei eben keine neue Verfassung erarbeitet worden, sondern aus dem Osten praktisch nichts übernommen worden, sagte Brähler. Decker ergänzte, dass Menschen im Osten tatsächlich weniger demokratische Teilhabe hätten, zum Beispiel im Betrieb. Mangels Tarifbindung fehle oft die Erfahrung, eigene Interessen auch durchsetzen zu können. «Das strahlt nach außen ab».

«Kein ostdeutsches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem»

Eine wichtige Rolle spielten Verschwörungsideologien, also das Gefühl, dass dunkle Mächte unerkannt regieren und Politikerinnen und Politiker nur Marionetten seien, erläuterten die Autoren. Dazu kommen die überfordernde Krisensituation und der dauernde Wandel. Die Antwort darauf ist der Wunsch nach einer einfacheren Zeit und jemandem, der alles regelt. Brähler riet den ob der AfD-Erfolge entsetzten übrigen Parteien «ihre Hausaufgaben zu machen», und zwar energisch. «Dann kommen auch die Wähler zurück», sagte der Professor für Medizinische Psychologische und Medizinische Soziologie.

Die Linke warnt vor einem verengten Blick auf Ostdeutschland. Auch im Westen gebe es für die AfD längst zweistellige Umfrageergebnisse, gab Bundesgeschäftsführer Tobias Bank zu bedenken. «Das Problem ist also kein ostdeutsches, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Der Rechtsruck ist europaweit und in ganz Deutschland zu spüren.» Tatsächlich gibt es aktuell keine Studie, die Westdeutschen so gezielt und umfassend auf den Zahn fühlt.