Tiefpunkt statt EM-Euphorie: Deutscher Fußball am Boden
Knapp ein Jahr vor Beginn der Heim-EM ist der deutsche Fußball am nächsten Tiefpunkt angelangt. Beim kläglichen und frühen EM-Aus der zuletzt so erfolgreichen U21 fehlt es an fast allem: Leidenschaft, Begeisterung und Qualität.
Mit Blick auf den ebenfalls besorgniserregenden Zustand der A-Nationalmannschaft wachsen die Zweifel. «Wir haben die Schnauze voll», skandierten die Fans nach dem 0:2 der U21 gegen England, während Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim DFB, zugab: «Da liegt noch viel Arbeit vor uns, um den Anschluss an die Weltspitze nicht definitiv zu verpassen.»
Wie geht es für die beiden wichtigsten deutschen Männer-Nationalteams weiter?
Nach der A-Nationalmannschaft hat sich nun auch die Nachwuchs-Auswahl mit einer riesigen Enttäuschung in die Sommerpause verabschiedet. Coach Antonio Di Salvo kündigte eine schonungslose Aufarbeitung des Turniers an. Im September stehen für beide Teams die nächsten Länderspiele an. «Hansi Flick weiß, dass wir jetzt gefordert sind in den Spielen im September», sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler mit Blick auf den Bundestrainer. «Die Zeit der Experimente ist vorbei, jetzt geht es ins EM-Jahr rein.»
Sind personelle Konsequenzen ein Thema?
Vorerst nicht. Völler stellte sich bei seinem Besuch bei der U21-EM, bei dem er zwei ernüchternde Niederlagen des Titelverteidigers miterleben musste, noch einmal klar hinter Flick und Di Salvo. «Ich weiß, dass Hansi Flick es kann», sagte der 63-Jährige. Die Verträge von Di Salvo und dessen Co-Trainer Hermann Gerland waren erst kurz vor der EM bis 2025 verlängert worden. «Eine Trainer-Diskussion wird es nicht geben, weil wir Toni das Vertrauen schon vor dem Turnier ausgesprochen haben», sagte Chatzialexiou. Sollten allerdings die September-Länderspiele der A-Nationalelf keine Besserung und Ergebnisse bringen, dürfte auch Völler zum Handeln gezwungen sein. «Hansi weiß, wir müssen liefern», sagte er.
War das frühe EM-Aus der U21 ein Ausrutscher?
Mit Blick auf die Statistik sieht es so aus. Unter Di Salvos Vorgänger Stefan Kuntz reihte die Mannschaft zuletzt Erfolg an Erfolg, kam dreimal in Serie ins EM-Finale und holte 2017 und 2021 den Titel. Experten und Verantwortliche warnen aber schon lange, dass die deutschen Talente im internationalen Vergleich nicht mehr mit der Weltspitze mithalten können. «Uns wurden heute ganz klar die Grenzen aufgezeigt», sagte Di Salvo. Allein der Blick in die Historie sollte Warnung genug sein. Zwischen 2000 und 2007 qualifizierte sich die U21 nur für zwei von fünf möglichen Endrunden. Dort war jeweils in der Gruppenphase Schluss.
Welche Spieler kommen für die Heim-EM infrage?
Aus dem U21-Kader hat sich niemand für die A-Nationalmannschaft empfohlen. Youssoufa Moukoko enttäuschte erst und fehlte dann verletzt, Kevin Schade und Josha Vagnoman spielten ein allenfalls ordentliches Turnier. Verletzt fehlende U21-Spieler wie Felix Nmecha könnten auch für Flick wieder ein Thema werden. Völler hatte nach den Misserfolgen des A-Teams ebenfalls die Spieler angezählt. «Es kann sicherlich auch den einen oder anderen Etablierten treffen. Es werden außerdem einige wieder zurückkommen, die zuletzt gefehlt haben», sagte der Sportdirektor bei Sat.1 mit Blick auf den nächsten Kader.
Wie soll bis zur EM noch Vorfreude entstehen?
Für mehr Euphorie sorgte zumindest im vergangenen Jahr das Frauen-Nationalteam von Martina Voss-Tecklenburg. Die Auswahl könnte mit einer erfolgreichen WM in diesem Sommer Sympathien zurückerobern – oder aber dafür sorgen, dass die Männer-Teams noch kritischer gesehen werden. Für die A-Nationalmannschaft und die U21 bleibt nur die Hoffnung auf bessere Leistungen – und auf leidenschaftliche und mitreißende Auftritte.