Straßen-Weltmeisterschaft

Trotz Sturz im Regen: Van der Poel rast auf den WM-Thron

Eine Protestaktion auf der Landstraße, eine Rutschpartie im Regen und ein Schlagabtausch auf den Straßen von Glasgow: In einem atemberaubenden WM-Rennen holt sich Mathieu van der Poel den Titel.

Trotz Sturz im Regen: Van der Poel rast auf den WM-Thron

Als Mathieu van der Poel mit zerfetztem Trikot und blutigem Ellbogen seine persönliche Triumphfahrt am George Square zelebrierte, war der Klassikerspezialist am Ziel seiner Träume angelangt.

Unbeeindruckt von einem heftigen Sturz auf den rutschigen Straßen von Glasgow eroberte der niederländische Radstar am Sonntag erstmals die WM-Krone und feierte mit Tränen in den Augen ein Jahr nach dem Alptraum auf einer australischen Polizeiwache sein persönliches Happy End. In dem von einer Protestaktion überschatteten WM-Straßenrennen spielte van der Poel auf dem verwinkelten Kurs durch die schottische Industriestadt sein fahrerisches Können aus und holte sich nach 271,1 Kilometern im Alleingang das Regenbogentrikot bei der Rad-WM. 

Auf den WM-Thron trotz Sturz

Van der Poel siegte im Labyrinth von Glasgow mit den vielen Kurven und Ecken mit fast zwei Minuten Vorsprung vor seinem belgischen Rivalen Wout van Aert und dem slowenischen Tour-Zweiten Tadej Pogacar. Dabei ließ er sich auch durch einen Sturz 16,5 Kilometer vor dem Ziel nicht mehr aufhalten, als er in einer Kurve in die Balustraden gerutscht war. Der 28-Jährige sprang aber sofort wieder auf das Rad und sorgte schließlich für den ersten niederländischen Sieg seit 38 Jahren. 1985 hatte Joop Zoetemelk im italienischen Giavera di Montella triumphiert. 

Die deutschen Fahrer spielten erwartungsgemäß keine Rolle. Einzig John Degenkolb konnte sich eine Zeit lang im Vorderfeld präsentieren, war aber am Ende chancenlos. Damit geht das lange Warten auf den ersten deutschen WM-Titel seit Rudi Altig 1966 weiter.

Für van der Poel, dem Enkel des legendären Raymond Poulidor, ist es die Krönung einer herausragenden Saison mit Siegen bei den Radsport-Monumenten Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix sowie dem Titel bei der Cross-WM.

Noch vor einem Jahr hatte sich für MvP die WM in Wollongong zu einem persönlichen Fiasko entwickelt. In der Nacht vor dem Straßenrennen war es im Hotelflur zum Disput mit zwei Mädchen gekommen, die immer wieder an seine Tür geklopft hatten. Nach einer Schubserei rückte die Polizei an. Van der Poel musste für einige Stunden aufs Revier und gab nach einer schlaflosen Nacht später im Rennen entnervt auf.

Entscheidung 22 Kiloneter vor dem Ziel

Die Entscheidung vor mehreren hunderttausend Zuschauern fiel 22 Kilometer vor dem Ziel, als van der Poel die entscheidende Attacke setzte. Zuvor war der Italiener Alberto Bettiol lange Zeit bei einsetzendem Regen allein an der Spitze gefahren, ehe er von der Favoritengruppe um van der Poel geschluckt wurde. Titelverteidiger Remco Evenepoel hatte da schon abreißen lassen müssen.

Auf dem 14,3 Kilometer langen Rundkurs in Glasgow mit seinen 48 Kurven kam es zu einem regelrechten Ausscheidungsfahren. Immer wieder wurden prominente Namen im Verlaufe des Rennens abgehängt, darunter auch die beiden Ex-Weltmeister Peter Sagan (Slowakei) und Michal Kwiatkowski (Polen) und der viermalige Tour-Etappensieger Jasper Philipsen (Belgien).

Auch das sechsköpfige deutsche Team wurde in Glasgow schnell dezimiert. Dabei war auch der als Kapitän ins Rennen gegangene Kölner Nils Politt schnell abgehängt. «Ich hatte zu einem ziemlich schlechten Zeitpunkt einen Platten, ungefähr 25, 30 Kilometer vor der Runde am Berg», sagte Politt. Er habe sich noch zurückgekämpft, aber die Position habe nicht ausgereicht. Auch Jannik Steimle und Nico Denz stiegen früh vom Rad.

Bevor es in Glasgow zur Sache ging, sorgte eine Protestaktion einer schottischen Umweltorganisation für eine fast einstündige Unterbrechung des Rennens. Demonstranten hatten sich rund 80 Kilometer nach dem Start in Edinburgh auf einer Landstraße im Carron Valley auf den Asphalt geklebt und damit das Feld zum Stillstand gebracht. Die schottische Polizei nahm fünf Demonstranten fest. «Nassgeschwitzt eine Stunde auf der Straße zu stehen, war kein schöner Zeitpunkt», meinte Politt.