Im Cum-Ex-Strafverfahren gegen den früheren Chef der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, Christian Olearius, wird heute Nachmittag ein Urteil erwartet. Das Bonner Landgericht dürfte die Einstellung des Verfahrens verkünden und dabei die angeschlagene Gesundheit des 82-Jährigen als dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit und Prozesshindernis werten.
Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung hatten die Einstellung des Verfahrens beantragt, das Gericht hatte ein medizinisches Gutachten eingeholt. Das sogenannte Einstellungsurteil wird die Schuldfrage wohl unbeantwortet lassen, auch den von der Verteidigung erhoffte Freispruch dürfte es nicht geben. Der heutige Gesellschafter der Privatbank M.M. Warburg hat vor Gericht seine Unschuld beteuert, heute will er sich abermals zu Wort melden - auf den Ausgang des Verfahrens wird das aber aller Voraussicht nach keinen Einfluss mehr haben.
Taterträge von 43 Millionen Euro
Vorerst erspart bleibt ihm, an den Staat 43 Millionen Euro als damalige Taterträge zahlen zu müssen. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, ein sogenanntes Einziehungsverfahren überzuleiten und dadurch gewissermaßen vom Strafverfahren abzukoppeln. Das lehnte das Gericht in der vergangenen Woche aber ab und wies darauf hin, dass die Ankläger hierzu bislang nicht fertig ermittelt hätten. Dies könnte die Staatsanwaltschaft später noch tun und dann ein separates Einziehungsverfahren anstrengen. Hierbei ginge es ums Geld und nicht um die Schuldfrage. Olearius müsste nicht mehr vor Gericht erscheinen.
Die Anklage hatte Olearius 15 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung vorgeworfen, bei denen ein Steuerschaden von knapp 280 Millionen Euro entstanden sein soll. Die Taten sollen im Kern von 2006 bis 2011 geschehen sein. Das war die Hochphase des Cum-Ex-Geschäftsmodells, bei dem Finanzakteure Steuern erstattet bekamen, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand dadurch ein zweistelliger Milliardenschaden. Zu Cum-Ex hat es am Bonner Landgericht seit 2020 bereits acht Schuldsprüche gegeben, eine Vielzahl an Verfahren dürften in den kommenden Jahren noch folgen.
Verbindung zu Scholz
Olearius ist einer der bekanntesten Cum-Ex-Akteure. Sein Vorgehen schlug auch in der Politik hohe Wellen. Denn aus Tagebucheinträgen von ihm ging hervor, dass er sich 2016 und 2017 insgesamt dreimal mit dem späteren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) getroffen hatte, als dieser noch Erster Bürgermeister von Hamburg gewesen war.
Der genaue Inhalt der Treffen ist unklar. Fakt ist aber, dass die Finanzbehörde danach eine Steuerforderung fallenließ und die Ansprüche daraufhin nach damaliger Rechtslage verjährten. Dass ein kausaler Zusammenhang bestand zwischen den Scholz-Olearius-Treffen und der Behördenentscheidung, ist nicht erwiesen. Scholz schließt eine politische Einflussnahme aus, beruft sich bei der Frage nach dem genauen Inhalt der Gespräche aber auf Erinnerungslücken.
Forderung aus der Zivilgesellschaft
Mit Blick auf das heute erwartete Einstellungsurteil im Verfahren gegen Olearius sagte der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und jetzige Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, Gerhard Schick, es sei kein Skandal, wenn das Verfahren mit einem Einstellungsurteil ende. «Es gibt für solche Fälle rechtsstaatliche Regeln, die für alle gelten, auch für Olearius – und das ist auch richtig so.»
Der eigentliche Skandal sei vielmehr, dass es zu dem Strafverfahren fast nicht gekommen wäre, weil Olearius gute Beziehungen zu Regierung und Justiz in Hamburg gepflegt habe. «Wenn die Staatsanwaltschaft in Köln nicht hartnäckig geblieben wäre, hätte man Olearius vielleicht nie angeklagt.»
Schick appellierte an die Regierungs- und Ermittlungsbehörden in Hamburg und anderswo, mit vollem Einsatz gegen Cum-Ex-Vergehen vorzugehen. «Der gleiche Rechtsstaat, der Olearius nun vor einem Verfahren schützt, dem er nicht mehr gewachsen ist, hätte ihn schon früher entschlossen anklagen müssen.»