Präsidentschaftswahl

Wahl im Iran: Zwischen Hoffnung, Misstrauen und Machtkampf

Sechs handverlesene Kandidaten konkurrieren um das Präsidentenamt. Unter den Bewerbern ist auch ein moderater Politiker. Wird er den Konservativen gefährlich?

Auf den wuseligen Straßen der iranischen Millionenmetropole Teheran ist kurz vor der Präsidentschaftswahl am 28. Juni nur wenig von einem Wettbewerb um das Amt zu spüren. Im Stadtzentrum locken Wahlplakate mit Versprechen eines starken Staats, einer Verbesserung der Wirtschaftslage, Fortschritt oder Dienst am Bürger. Konkreter wird es kaum. Stattdessen dominieren bunte Banner das Stadtbild, die für ein bevorstehendes religiöses Fest werben.

Vor Jahren noch zeigten viele Iranerinnen und Iraner öffentlich ihre Unterstützung, etwa, als der damalige Präsident Hassan Ruhani gegen den jüngst tödlich verunglückten Ebrahim Raisi um seine Wiederwahl kämpfte. Davon ist heute nichts zu spüren. Tiefe Narben in der Gesellschaft haben die Wahlen der vergangenen Jahrzehnte im Iran hinterlassen. Die Ära der Hoffnung, einer Annäherung mit dem Westen ist für viele nur noch ein Gefühl von Nostalgie. Die gesellschaftlichen Gräben sind groß, zuletzt dominierten gar militärische Spannungen die Politik des Irans.

Auf den Wahlkampfveranstaltungen der Präsidentschaftskandidaten kommt dennoch Stimmung auf. Stundenlang warten etwa Anhänger der Reformbewegung in einer Sporthalle bei rund 30 Grad auf den moderaten Kandidaten Massud Peseschkian. Als er die Bühne betritt, bebt die Halle. Kurz vor der Wahl weckt der frühere Gesundheitsminister Hoffnungen einer enttäuschten Wählergeneration. «Ich verspreche Euch, das Volk nie anzulügen», ruft der 69-Jährige.

Konservative Fundamentalisten dominieren Bewerberfeld

Bei der Präsidentenwahl, die auf den Tod von Amtsinhaber Raisi am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz folgt, treten sechs handverlesene Kandidaten an. Die sogenannten Fundamentalisten - erzkonservative Politiker und loyale Anhänger des Systems - sind am stärksten vertreten. Unter ihnen dürften vor allem der amtierende Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf (62) und der Hardliner Said Dschalili (58) um Stimmen der Regierungsanhänger werben. Ghalibaf, früherer General der mächtigen Revolutionsgarden, gilt als Opportunist und Machtpolitiker, Dschalili vertritt radikalere Positionen.

Der moderate Peseschkian genießt breite Unterstützung aus dem Lager der Reformpolitiker. Als früherer Gesundheitsminister hat er bereits Regierungserfahrung. Bei einer hohen Wahlbeteiligung dürften seine Chancen gar nicht schlecht sein. Insbesondere, wenn es in die Stichwahl geht und sich das iranische Volk zwischen einem Konservativen und Reformer entscheiden müsste.

Wenig Wahlstimmung, viel Frustration

Aktuell ist wenig zu spüren von der Ära der Hoffnung, als der frühere Präsident Hassan Ruhani eine Wiederannäherung mit dem Westen einfädelte. Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten, vor allem die jungen Menschen im Iran verloren. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem. Die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Parlamentswahl erreichte ein Rekordtief von rund 40 Prozent.

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung. Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte. Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei.

«Ich habe keine gute Aussicht auf die Zukunft oder Perspektive und habe auch keine Hoffnung auf Reformen», sagt der 27 Jahre alte Mohammed, der im Medienbereich arbeitet. Wichtige Themen wie die angeschlagene Wirtschaft, die Abwanderung von Fachkräften würden zwar debattiert, aber «nach den Wahlen vergessen werden», befürchtet er.

Regierungsanhänger hoffen auf Einigkeit und Machterhalt

Der politischen Führung dürfte bewusst sein, dass ein wesentlicher Teil der iranischen Gesellschaft das politische System inzwischen ablehnt oder kritisch sieht. Dennoch gehen Experten davon aus, dass der Staatsspitze die Wahlbeteiligung als Gradmesser für ihre Legitimität wichtig ist. So wird auch die Zulassung des moderaten Peschkians gedeutet: Mit einem zwar moderaten, aber ungefährlichen Kandidaten dürfte die Wahlbeteiligung steigen, während der eigentliche Machtkampf unter den systemtreuen Konservativen ausgefochten wird. Doch Peseschkians Anhänger glauben, er werde unterschätzt.

Hussein, ein Regierungsanhänger, ist noch unentschlossen. «Ich hoffe, dass wir uns zwischen Dschalili und Ghalibaf auf eine Person einigen können», sagt der Angestellte am Hauptbahnhof in Teheran. «Ich halte beide für fähig», fügt er hinzu. Wie viele Konservative macht er die westlichen Sanktionen für die miserable Wirtschaftslage verantwortlich. Und: «Das Kopftuchthema ist ein Propagandainstrument der feindlichen Medien geworden», glaubt der 36-Jährige.

Staatsmacht setzt auf Kontinuität

Expertinnen und Experten erwarten keine großen politischen Umwälzungen durch die Wahl. «Das Spektrum an Bewerbern ist nicht viel größer als bei den letzten Wahlen. Mit den Kandidaten ist der Revolutionsführer auch kein großes Risiko eingegangen. Die Führung setzt vor allem auf Kontinuität», sagt die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). «Keiner der Kandidaten hat das Profil oder Gewicht, Chamenei machtpolitisch herauszufordern.» Die besten Wahlchancen sieht Zamirirad beim konservativen Lager. «Aber der Wahlausgang ist im Gegensatz zu den letzten Wahlen von 2021, die einzig auf die Person Raisi zugeschnitten waren, offen. Damals war nur einer als Sieger denkbar. Das sieht diesmal anders aus.»