Hansi Kürsch, der Sänger von „Blind Guardian“, wirkt bei seinen Ansagen stets ein wenig, als wäre er Conférencier bei der Hauptversammlung des Sparkassenverbands Hessen-Nord: verbindlich, ein wenig schnurrend und im genau richtigen Maß jovial, um mit einem Lächeln zum kalten Büfett überzuleiten. Kein „Seid ihr gut drauf?!“, kein Röhren ins Mikro, nein, er nimmt die Fans mit auf eine Reise, die oft Stationen wie Mordor oder das Auenland hat, Tolkien-Freunde finden sie auf der Landkarte.
Und dabei führt Kürsch nicht nur seine Band an, sondern auch das Publikum, das bei jedem „Blind Guardian“-Auftritt auf jenen Moment wartet, den der Sänger als das „ganz große Ding“ bezeichnet. Es ist, natürlich, „The Bard’s Song“, eine zarte, mittelalterlich angehauchte Ballade, die ursprünglich 1992 auf dem Album „Somewhere far beyond“ erschien. Am Freitag, zum Höhepunkt des Auftaktabends, brauchte Kürsch, begleitet von den Gitarristen Marcus Siepen und André Olbrich das Stück nur anzudeuten, schon sangen mehrere tausend Fans mit, textsicher und so inbrünstig, dass sich trotz Hitzestau unter der Zeltplane Schockwellen von Gänsehaut ausbreiteten. Bei Youtube gibt es Dutzende Videos von genau diesem Moment einer vollendeten Verbindung von Band und Publikum – der Dischinger Freitagabend wird dort zu den beliebteren zählen.
In Dischingen: Tolkien im Dreivierteltakt
Dabei war „Blind Guardian“ suboptimal eingestiegen, das Schlagzeug donnerte zu laut ins Zelt, Siepens für den Bandsound so prägende Rhythmusgitarre ging dagegen unter. Die Fans ließen sich aber nicht erschüttern und feierten die Krefelder von Beginn an. Spätestens bei „Nightfall„, jenem ergreifenden Dreivierteltakter aus Mittelerde, hatte der Mann am Mischpult den Klang im Griff, die Band konnte trotz ihres teils komplexen Materials souverän abräumen - bis zum abschließenden Triumph mit "Valhalla“.
Komplexe Strukturen wird man bei „Grave Digger“ vergeblich suchen. Die Gladbecker Band um Sänger Chris Boltendahl hat in ihrer Karriere einmal einen echten Ausfallschritt gewagt: Nach drei robusten Metal-Alben in den frühen Achtzigern, benannten sie sich in „Digger“ um und veröffentlichen mit „Stronger than ever“ ein Album mit einer Terminator-Ente auf dem Cover – und legten dank seichten Song-Materials eine äußerst schmerzhafte Bauchlandung hin.
Seither sind Experimente vom Tisch, „Grave Digger“ liefert klassischen, mittelschnellen Heavy Metal ab, eine gut geölte Maschine, die in den Lagern und Wellen bisweilen etwas knackt, aber grundsympathisch und authentisch ist. Am Freitag in Dischingen füllten sie das Zelt gut aus, im Publikum gingen die Fäuste zu Songs wie „Excalibur“ oder dem obligatorischen Schluss-Song „Heavy Metal Breakdown“ in die Höhe.
Den härtesten Auftritt des gesamten Festivals hatten die Besucher zuvor mit den Niederländern „Legion of the Damned“, die ihren Thrash Metal auf maximale Härte getrimmt haben und scheinbar mühelos einen Circle Pit erzeugten, in dem die Fans ausgelassen im Kreis rannten. Sieht wild und gefährlich aus, hat aber eine strenge Regel: Wer fällt, dem wird aufgeholfen. Das klappte in Dischingen hervorragend. Viel Eindruck hinterließ auch Lisa-Marie Watz, die Frontfrau von „April Art“, die am frühen Abend einheizte – als eine von nur zwei Frauen auf der Bühne an beiden Tagen.
Mit Augenzwinkern: die "Warkings" begeisterten in Dischingen
Die zweite war Secil Sen alias „Morgana Le Fay“, die am Samstagabend zeitweise mit den „Warkings“ auf die Bühne ging. Bei einem orthodoxen Metal-Festival wie etwa dem „Keep it true“ würde man diese Band nicht einmal ignorieren, zu durchgeknallt das optische Konzept, zu sehr auf den Effekt zugeschnitten die Songs, aber: Es funktioniert und macht Spaß. Sänger Georg Neuhauser ging in der sicherlich schweißtreibenden Verkleidung als römischer Tribun ans Werk, flankiert von einem Kreuzritter an der Gitarre und einem Wikinger, dessen Bass regelrecht punkrockig knödelte.
Das große Plus der „Warkings“ ist das Augenzwinkern. Sie präsentieren recht modernen Power Metal wie eine Zirkusshow, immer ein bisschen zu viel von allem, aber die Interaktion mit dem Publikum ist überragend. Dass der italienische Widerstands-Klassiker „Bella Ciao“ in der Version der „Warkings“ zu einem „We will fight, fight, fight!“ wird, gehört vermutlich zu den milden Provokationen, die man sich in der Band gönnt.
Zum vierten Mal seit 2003 war „In Extremo“ gebucht, wie immer als Headliner. Völlig verdient, denn wie scheinbar leicht es die Berliner um Sänger Michael Rhein immer wieder schaffen, einem vermeintlich ausgepumpten Publikum noch die letzten Kraftreserven zu entlocken, ist bemerkenswert. Schon beim zweiten Stück „Feuertaufe“ übertönten die Fanchöre fast die Band, der Sicherheitsdienst musste die Crowd-Surfer, die sich über die Mengen tragen ließen, im Dutzend in den Fotograben pflücken, und die Hitze der Pyro-Show waren auch noch in 20 Metern Abstand zur Bühne zu spüren.
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Heiß und friedlich
Großen Applaus hatte es zuvor gegeben, als der Tribun der „Warkings“ die Arbeit des Vereins „Jugend Dischingen“ würdigte. Die ehrenamtlichen Veranstalter vom Härtsfeld bewältigen ihre Arbeit ja längst mit so großer Routine, dass man fast vergisst, wie souverän das geschieht. Entsprechend entspannt fällt das Fazit von Sprecher Ralf Eberhardt aus. „Es war sehr friedlich“, sagt er am Sonntagmorgen, während im Hintergrund rund 100 Helfer mit dem Abbau beschäftigt sind. Die Hitze am Samstag habe einige Leute geschlaucht, von schlimmeren Wetterextremen blieb das Festival aber verschont. Neuerungen wie die Leinwand, auf der die Fans auch vor dem Zelt die Auftritte verfolgen konnten, und eine Lounge nahe dem Eingang seien gut angekommen. Derweil laufen auch schon die Planungen für das letzte Juniwochenende 2025. Der Vorverkauf beginnt am 1. November.