St. Johannes-Baptist-Kirche Dischingen

Gänsehaut und Glanz beim Konzert des Jungen Kammerchors Ostwürttemberg in Dischingen

Der Junge Kammerchor Ostwürttemberg sorgte mit „Libera me“ in der St. Johannes-Baptist-Kirche Dischingen für Ergriffenheit und Andacht. Wer nicht dabei sein konnte, hat noch einmal die Chance, das Konzert zu erleben.

Es ist doch immer wieder verblüffend, was innerhalb kürzester Probenzeit erreicht werden kann: Der Junge Kammerchor Ostwürttemberg hatte mit „Libera me“ am Samstagabend in der St. Johannes-Baptist-Kirche in Dischingen eine Meisterleistung geliefert, die die zahlreichen Zuhörer von Anfang bis Ende in den Bann gezogen hatte. Applaus dafür gab es nur zweimal: einmal zur Pause und sodann am Schluss. Zwischendrin hätte man gar nicht gewagt, irgendetwas an Geräusch zu entwickeln, das den Eindruck des betörenden Gesangs zu unterbrechen vermocht hätte.

Zarte Flügelschläge und Innigkeit

Um Freiheit also ging es im diesjährigen Sommerprojekt des Jungen Kammerchors Ostwürttemberg, „Befreie mich“ so der Titel übersetzt, und dafür hatten die beiden Chorleiter Maddalena Ernst und Thomas Baur feine Kostbarkeiten aus verschiedenen Epochen zusammengetragen, die unter dem gekonnten Vortrag Ergriffenheit, Andacht, Besinnung, immer wieder Gänsehaut und immer strahlenden Glanz verbreiteten. Die Bandbreite im Programm reichte von Poulenc mit seinem sehr bewegenden „Aussi bas que la silence“ über Friedrich Silchers „Gebet“ mit all der Silcherschen Innigkeit bis hin zu „Die Gedanken sind frei“ in der Bearbeitung von Oliver Gies, Mitglied des A-cappella-Ensembles „Maybebop“, dessen spektakuläres Arrangement zweierlei beinhaltet: große Herausforderung für die 16 Sängerinnen und Sänger, und ein überwältigendes Erlebnis für das Publikum. Ganz zauberhaft filigran setzte der Chor die zarten Flügelschläge des „Butterfly“, ein zeitgenössisches Werk aus der Feder von Mia Makaroff, in Gang, diesem Schmetterling in seiner luftigen Leichtigkeit zu folgen, war ein ganz besonderer Genuss.

Weit spannte also Maddalena Ernst den Bogen im ersten Teil des Programms, und auch Thomas Baur, der das Dirigat nach der Pause übernahm, hatte Kostbarkeiten zu bieten. Mendelssohn Bartholdys „Richte mich Gott“, gleichsam Freude und Licht spendend, beispielsweise oder das voluminöse „Cantemus“ von Lajos Bárdos, ebenfalls zeitgenössisch, oder das zurückgenommene „And the Swallow“ von Caroline Shaw nach dem Psalm 84, ein weiteres zeitgenössisches Werk, zeigten abermals, welche Finessen an Dynamik, Rhythmik und Ausdruck der Chor beherrschen kann. Dabei ließ Thomas Baur auch immer wieder die Choraufstellung ändern: So war das Publikum gänzlich umhüllt durch Ola Gjeilos „Kyrie“, für den die Sängerinnen und Sänger rund um das Publikum Aufstellung nahm, und „O Adonai“ von Arvo Pärt begaben sich die Sänger auf die Empore, um von hoch oben ganz tief anzusetzen – auch das ein beeindruckendes Erlebnis. Die besondere Akustik in der Dischinger Kirche trug dazu nicht unerheblich bei.

Mahnmal aus Trauer und Schmerz

Und dann waren da ja noch die beiden Auftragswerke, die zum Thema Freiheit unterschiedliche Ansätze fanden. Kamil Shuaievs „Epitaph“, gewidmet denjenigen, „die hätten leben können, aber gestorben sind, den toten Soldaten, die ihre irdische Bestimmung nicht fortsetzen konnten“, wie Christian Glass das Publikum in seiner Moderation wissen ließ, vereint Trauer, Schmerz und Anklage zu der eindringlichen Botschaft für den Frieden und setzt die Erlebnisse des aus Charkiw in der Ukraine stammenden Komponisten um. Das nahezu ausschließlich aus Vokalisen und dabei einigen Dissonanzen und der prägnanten Botschaft „Mütter verabscheuen den Krieg“ nach Horaz fügte sich unter dem Dirigat von Maddalena Ernst zu einem wahren Mahnmal zusammen, das wohl niemanden im Publikum kaltließ.

Das weitere Auftragswerk stammt von Wolfram Buchenberg, Komponist mit einem besonderen Faible für Chormusik, dessen Grundlage der Paulus-Brief ist, in dem er den Galatern „ganz schön was um die Ohren haut“ (Christian Glass). Sich nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auferlegen zu lassen, das ist die Quintessenz der Botschaft, die sich durchaus auch auf selbstauferlegte Knechtschaft wie Soziale Medien oder Künstliche Intelligenz beziehen lassen kann. Jedenfalls kommt in dem Werk durchaus die Wucht zum Tragen, die Paulus angewandt haben mag – sehr eindringlich und aufwühlend nahm auch dieses Auftragswerk unter der Leitung von Thomas Baur das Publikum gehörig mit.

Beeindruckende Leistung

Vor allem aber waren es abermals Klarheit, Präzision, besonderes Gespür für Dynamik und Rhythmik und auch die spürbare Freude der Sängerinnen und Sänger an den Herausforderungen, sich ganz in den Dienst des jeweiligen Werks zu stellen und die Besonderheiten aufzuspüren. Und dabei hat der Chor mit Leonie Widmann, Merle Riggers, Marlene und Viola Rudolf, Felix Eickelmann und Georg Zimmermann auch Solisten zu bieten, die ebenfalls mit ihrer Strahlkraft beeindrucken. Und das Beeindruckendste unter allen Gesichtspunkten dabei ist, dass dies gelingt mit einer gemeinsamen Probenzeit, die gerade mal eine Woche dauert. Das kann Talent bewirken, wenn Konzentration, Fleiß, Anspruch und eine gehörige Portion Leidenschaft hinzukommen.

Konzert des Jungen Kammerchors wird wiederholt

Das Konzert „Libera me“ wird nochmals am Samstag, 10. August, ab 19 Uhr in der Pauluskirche Heidenheim zu erleben sein. Und wer mit diesem Konzert seinen Urlaubsgenuss verstärken möchte, der reist am Dienstag, 6. August, nach Lugano, oder am Mittwoch, 7. August, nach Malecesine: Dort wird der Junge Kammerchor Ostwürttemberg ebenfalls mit „Libera me“ zu erleben sein.

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