Heiliger Bimbam (15 von 17)

In Ballmertshofen steht eine Kirche, die erst nach über 150 Jahren geweiht wurde

In Ballmertshofen pflegt man nicht nur eine Glocke aus dem 16. Jahrhundert, sondern unter anderem auch, Kirchen erst 150 Jahre nach deren Fertigstellung zu weihen.

In Ballmertshofen steht eine Kirche, die erst nach über 150 Jahren geweiht wurde

Ballmertshofen auf dem Härtsfeld führt immerhin eine Glocke im Ortswappen: Die im Jahr 1741 erbaute Kirche in Ballmertshofen ist der heiligen Anna geweiht. Wobei hierzu gleich eine Geschichte erzählt werden kann, die ihresgleichen sucht. Denn geweiht wurde das Gotteshaus tatsächlich erst im Jahr 1893 im Anschluss an eine Renovierung, nachdem dies 152 Jahre zuvor schlicht vergessen worden war.

Viel älter als die Kirche ist die älteste Glocke im Geläut. Sie stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das genaue Jahr des Gusses ist nicht bekannt. Vermutlich erklang sie schon in der Vorgängerkirche aus dem Jahr 1236, die 1624 durch einen Blitzschlag beschädigt und nach dem Dreißigjährigen Krieg nur notdürftig wieder instandgesetzt worden war. Gegossen wurde die Glocke in Nürnberg von Christof Glockengieser, der 1571 auch eine Glocke für die Abteikirche in Neresheim lieferte. Die Inschrift auf der mit rund 200 Kilo schweren drittgrößten von insgesamt vier Glocken in Ballmertshofen lautet: „zu gottes dinst gehor ich christof glockengieser zv nvrmberg gvs mich amen“. Ihre beiden größeren Schwestern wurden 1949 von Petit und Edelbrock im westfälischen Gescher gegossen, die kleinste 1988 von Bachert in Heilbronn.

Seinerzeit wurde die Gelegenheit auch gleich genutzt, um einen schönen neuen Holzglockenstuhl in die Glockenstube einzubauen, zu der hinauf sicherlich der interessanteste Aufgang führt, der unseren Glockentestern auf ihrer Expedition begegnet ist. Arthur Penk und Manfred Kubiak kommen jedenfalls aus dem Staunen nicht mehr heraus, als Mesnerin Lydia Schmidt sie über Treppen der verschiedensten Gattungen und Zeitalter den Turm hinauf geleitet.

In der Glockenstube selbst geht es dann sehr eng zu. Zwar hängen die vier Glocken paarweise übereinander. Wer jedoch die historische Glocke beim Läuten filmen will, muss das tun, solange wenigstens die unter ihr hängende größere Glocke schweigt, da man ansonsten Gefahr liefe, von deren Klöppel erschlagen zu werden. Also begnügen sich Kubiak und Penk aus Sicherheitsgründen diesmal mit der Stimme der Glockengieser-Glocke, deren Schlagton

es

ist. Und sie führen als eine von vielen Erkenntnissen ihrer Expedition auch gleich den Beweis, dass dieses

es

in Zeiten des Zweiten Weltkriegs und etwas darüber hinaus in Ballmertshofen nicht zu hören gewesen ist. Dort war man sich dessen über 70 Jahre später gar nicht mehr ganz gewiss.

Der Umweg heim aufs Härtsfeld

Glücklicherweise aber gibt es in Nürnberg für solche Zweifelsfälle des kollektiven Langzeitgedächtnisses das Deutsche Glockenarchiv im Germanischen Nationalmuseum, wo tatsächlich eine Karteikarte aufbewahrt wird, aus der eindeutig hervorgeht, dass im Glockenlager im westfälischen Lünen eine Glocke aus Ballmersthofen deponiert war, bei der es sich um keine andere als die Glockengieser-Glocke gehandelt haben kann. Sie kam übrigens erst 1950 und auf Umwegen heim ins Härtsfelddorf, da sie nach dem Krieg wohl zunächst auf dem Turm einer Kirche in Eslohe im Sauerland gehangen hatte. Erst nach Protesten aus dem Pfarramt gelangte sie wieder zurück und legte, da sie gesprungen war, auf dem Rückweg einen Zwischenstopp in der Glockenschweißerei Lachenmeyer in Nördlingen ein.

Wo nun erneut die Rede davon war, wäre es vielleicht einmal angebracht, den Zusammenhang zwischen Glocken und Krieg ein wenig zu beleuchten. Im Jahr 1940 erging im Deutschen Reich der Befehl „zur Sicherung der Metallreserven für eine Kriegsführung auf lange Sicht“. Dieser beinhaltete die Forderung, dass sämtliche Kirchenglocken der Rüstungsindustrie zur Verfügung zu stellen seien. Nach Hermann Göring sollten in Deutschland zehn bis zwölf Glocken erhalten bleiben. Dies rief die Kirche auf den Plan, die den Machthabern die Zusicherung abrang, dass fünf bis sechs Prozent des Glockenbestandes auf den Kirchtürmen verbleiben sollten.

Glocken, die abgegeben werden und von den Kreishandwerkerschaften eingesammelt und zum Abtransport gebracht werden sollten, wurden in die Kategorien A (nach 1800 gegossen), B und C eingeteilt. A-Glocken wurden sofort zur Verhüttung freigegeben, die älteren B- und C-Glocken wurden in sogenannte Glockenlager in der Nähe der Kupferhütten in Hamburg, Oranienburg, Hettstedt, Ilsenburg, Katt und Lünen (wo ausschließlich Glocken des Reichsgaus Württemberg gelagert wurden) gebracht. Dort wurden auch viele Glocken durch unachtsame Lagerung oder, wie im Hamburger Hafen kurz vor Kriegsende, durch Luftangriffe zerstört. Am Ende des Ersten Weltkriegs, als ab dem Jahr 1917 Glocken für Rüstungszwecke eingezogen worden waren, waren 56 Prozent der Glocken erhalten geblieben. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gerade mal noch 20 Prozent. Dass es nicht noch weniger wurden, war auch dem Einsatz des Denkmalschutzes zu verdanken. Trotzdem wurden selbst D-Glocken, die von vornherein wegen ihres historischen Wertes von der Abgabepflicht ausgenommen sein sollten, letztendlich vernichtet.

80 000 Glocken gingen verloren

Allein auf dem Gebiet der späteren vier Besatzungszonen gingen, dies weisen Zahlen des Deutschen Glockenarchivs aus, 42 583 Kirchenglocken verloren, 24 030 der katholischen und 18 583 der evangelischen Kirche. Die Württembergische Landeskirche verlor 1623 Glocken, 80 Prozent des Bestandes, die Diözese Rottenburg 2799, das waren 82 Prozent. Zusammen mit zerstörten weltlichen Glocken betrug der Verlust gar 43 776 Stück. Rechnet man die aus den deutschen Ostgebieten eingezogenen Glocken hinzu, erhöht sich die Anzahl der verlorenen Glocken auf 47 000. Und wenn man noch jene 33 000 bedenkt, die in Belgien, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei von den Kirchtürmen geholt wurden und auf Nimmerwiedersehen verschwanden, dann beträgt der Gesamtverlust im Zweiten Weltkrieg 80.000 Glocken.

Aus deutschen Gemeinden überdauerten ganze 13 851 Glocken den Zweiten Weltkrieg: 12 194 Kirchenglocken aus den späteren vier Besatzungszonen, darunter 408 der Landeskirche Württemberg und 581 der Diözese Rottenburg, 1300 Kirchenglocken aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze sowie 357 weltlicher Provenienz.