Endlich ist der wahre Zweck von Stuttgart 21 enthüllt: Ernst Mantel, Kabarettist und Tiefseetaucher in Sachen Schwabenseele, ist dem Geheimnis auf die Spur gekommen und hatte des Rätsels Lösung am Sonntagabend in der ausverkauften Arche Dischingen parat. Aber bei weitem nicht nur dies. Die im zunehmenden Alter zunehmende Zunahme abnehmenden Farbempfindens etwa, auf den Punkt gebracht in dem schönen Lied mit dem noch schöneren Titel „Beige“, Smalltalk bei zufälligen Begegnungen, das Klagelied eines schwäbischen Berufsjugendlichen oder auch gelungene Interpretation einer gelungenen Integration, das Sekundenglück beim Eintreffen unangekündigten Besuchs nach dem Motto „Ach Du Schande, Verwandte“. Bunt gemischt sind die Themen, derer sich Ernst Mantel bedient. Wenn man Ernst Mantel kennt – und welcher Kabarettfreund in der Region tut das schon nicht –, dann weiß man, dass das alles in Liedform gepackt wird, mit stets fein gedrechselten Texten, sprühend vor Witz, sicher im Gesang und in der Gitarrenbegleitung.
Und da konterkariert Mantel, der Kenner aller Schwaben-Klischees und ihrer Gründe, der Fachmann für schwäbischen Dialekt und „Obsessiönle“, gründlich zwei der sich hartnäckig haltenden Vorurteile über Schwaben. Da wäre erstens eine gewisse Maulfaulheit oder auch euphemistischer Zurückhaltung: Die kann man dem gebürtigen Schwäbisch Gmünder nun wirklich nicht nachsagen. So versiert und genüsslich, wie er Formulierungen auf den Punkt bringt und zelebriert, könnte niemals auch nur die Idee aufkommen, ein Schwabe rede nicht gern. Und zweitens Sparsamkeit: Auch das trifft bei Ernst Mantel nicht zu. Geradezu verschwenderisch geht er mit Pointen, Tempo und vor allem Silbenanzahl in den geschliffenen Texten um, da muss das Publikum schon ganz schön bei der Sache sein, damit ihm ja nichts entgeht.
Keine Pointe verkommen lassen
Und genau das war das Publikum auch in der Arche: Aufmerksam, ja geradezu begierig lauschte es dem Kabarettisten, quittierte mit Applaus und Lachern, die allenfalls deshalb ein wenig verhoben – auch so eine Schwaben-Spezialität: Verheben – wurden, um den Anschlussgag, der bei Ernst Mantel zuverlässig immer kommt, ja nicht untergehen zu lassen. Und es machte auch keinen Unterschied, ob es manches schon kannte, das Loblied auf die Schwaben-Tugend „Nix verkomma lassa“ etwa, die einfach immer noch zieht, oder das gute alte „Mir Schwaben“, die einfach nach wie vor von Pfundskerlen handelt. Die haben, auch wenn sie auch von keinem auf der Welt geliebt werden, so doch noch immer ihr Geld. Das ist einfach immer wieder spritzig zu hören, zumal Mantel es auch spritzig wie eh und je bringt und ganz nach Schwaben-Art keine Pointe verkommen lässt.
Er hat aber auch Neues im Programm, das, wie er gleich zu Beginn bekennt, wild zusammengewürfelt ist aus „uralt“ und „Premiere“: Denn auch Ernst Mantel kommt am Klimaschutz nicht vorbei und hat dafür ein kleines „Rundumschlägle“ parat mit dem Ratschlag, nicht mehr zu duschen und zu baden, „a bissle stinken“ schade schließlich weniger als der Ressourcenverbrauch. Mit Rücksicht auf denselben und den CO₂-Ausstoß hat er im Übrigen seinen ursprünglichen Plan verworfen, das Stück für ein großes Blasorchester zu schreiben, ein wenig Pfeifen tut’s ja schließlich auch.
Verdacht auf Prognose
Oft werde er gefragt, offenbarte Mantel dem Publikum, woraus sich denn die Inspiration speise, was der Quell für seine Ideen sei oder auch nur „Wie kommt man eigentlich auf so einen Scheiß?“. Ganz offensichtlich ist es wohl der Alltag, der reichlich Material für die Kategorie „Obachener Blödsinn“ – das hochdeutsche „Ungebacken“ gibt hier die Bedeutung nur unzureichend wieder – liefert. Denn das Wetteifern um Krankheiten, das er in verteilten Rollen darstellt, das hat wohl jeder schon einmal so erlebt, wenn er nicht gar selbst Teilnehmer war. Der Verdacht auf Prognose, vielleicht sogar Anamnese und die Allergie gegen Laktoseintoleranz freilich sind dann schon wieder die Absurditäten-Spezialitäten, von denen Ernst Mantel da ein ganzes Buffet anrichtet.
Dort findet sich auch die Schwarzwurst und die Viktualie, für die längst mal Liebeslieder fällig wurden, zwischen reichlich „Gell“ und „Fei“ und „Gschwind“ und „Sackzement“ in der Dialektik des Dialekts. Kompliziert und schlicht zugleich, und wenn das Publikum klatscht, und das tut es oft und lang, dann ist es auch immer ein Stück weit Identifikationsapplaus.
Bliebe noch der Hintergrund des Stuttgarter Bahnhofs im Projekt Stuttgart 21 zu klären: Das wurde natürlich nur ins Leben gerufen, um ein für alle Mal dem Gerücht den Garaus zu machen, die Schwaben seien sparsam oder womöglich gar geizig. „Was da an Geld rausgeschmissen wird, da können die Berliner ihr Flughäfele vergessen.“
Ein letztes Mal
Einen Wermutstropfen gab es doch an diesem überaus vergnüglichen Kabarettabend: Inge Grein-Feil verkündete gleich zu Beginn, dies sei die letzte An- und Abmoderation, die sie selbst halte. Der Applaus des Publikums galt daher auch ihr für ihr langjähriges erfolgreichen Wirken. Freilich werde sie immer mal wieder Veranstaltungen besuchen, so Grein-Feil, ansonsten liege aber alles in den Händen ihrer Nachfolger Steffi Zengerle und Gabi Bartsch: „Da sind gute Leute in meinen Fußstapfen.“