Kabarett in Dischingen

So brachte Matthias Egersdörfer wortgewandte Gesellschaftskritik in die Arche

Bei seinem Gastspiel in Dischingen grantelte sich der Kabarettist Matthias Egersdörfer gekonnt durch politische und gesellschaftliche Themen.

Erstmals gab Matthias Egersdörfer seine Visitenkarte in der Dischinger Arche ab. Und zwar gekonnt. Der 54-jährige Kabarettist und Komiker stellte dabei sein Programm „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ vor. Auftritte im Franken-Tatort als Spurensicherer sowie in den Eberhofer-Filmen „Schweinskopf al dente“ und „Kaiserschmarrndrama“ machten ihn auch als Schauspieler bekannt. In letztgenanntem Film sorgte er in seiner stoischen Art dafür, dass sein Nebenbuhler Flötzinger zum Ehrenmitglied seiner Rockerbande ernannt wurde und ganz nebenbei eines der wohl schrägsten Tattoos der deutschen Filmgeschichte verpasst bekam. Ähnlich skurril betrat Egersdörfer die Bühne der Arche und präsentierte sich den 130 Zuhörern im hypermodernen Corona-Schlabberlook: graue Jogginghose, maximal in die Jahre gekommene Pantoffeln und schrille, verschiedenfarbige Socken. Die Person, welche er an diesem unterhaltsamen Vorabend verkörperte, hatte einen kaputten Charakter, und zwar einen richtig kaputten – aber Schuld sind wie immer die anderen. Unfähig, auf eigenen Beinen zu stehen, Minderwertigkeitskomplexe bis zum Anschlag und unfreundlich im Quadrat – ein echter Sympathieträger war der dargestellte Anti-Gewinnertyp von Matthias Egersdörfer nicht gerade.

Nachbarn beobachten als Highlight in der Alltags-Tristesse

Als Kind klassisch von einer Helikopter-Mutter aufgezogen, verhätschelt und im Auto dauerchauffiert, werden die Auswirkungen dieses Handelns erst später deutlich. So verbringt er inzwischen ein ziemlich tristes Dasein. Zu seinen Highlights gehören das Beobachten und etwas eigenwillige Kommunizieren mit den Nachbarn aus dem Hinterhaus: Die 86-jährige Ostpreußin Frau Schlitzbier etwa, deren Husten eher den hier nicht weiter definierten Auswürfen einer durchzechten Nacht ähnelt, oder die Familie aus dem dritten Stock, deren Geplärre aus Sicht des negativen Eigenbrötlers reine Lustbefriedigung darstellt und deren Mutter er unterstellt, dass sie einfach nicht weiß, warum sie existiert. Bei Herrn Spitzbart rumpelt und scheppert es den ganzen Tag.  

Die Hauptperson dieses Abends will eigentlich ganz groß rauskommen: Manifeste schreiben und diese mithilfe eines Verlages weltweit unter die Menschheit bringen. Leider wird sie dabei ständig abgelenkt, beispielsweise beim Sockensuchen. Seine Frau ist ihm dabei keine große Hilfe: Sie arbeitet Tag und Nacht (kein Wunder bei einem solchen Sympathieträger) und schaut lieber Krimis – das 14-gängige Menü, welches der Göttergatte über zahllose Stunden hinweg liebevoll zubereitete, hat sie innerhalb von drei Minuten verschlungen – inklusive Nachtisch.

Thematisch gern auch mal unter der Gürtellinie

Auch sonst werden zahlreiche Geschichten in die Handlung eingebunden. Etwa warum es keine Altenpflege bei Tieren gibt, weshalb der jährliche Italien-Urlaub mit den Eltern spätestens am Autobahnzubringer bereits verhunzt war und welche sexuellen Vorlieben in seinem Wohnzimmer zum Tragen kommen – da geht es dann im wahrsten Sinne des Wortes unter die „Gürtellinie“.

Schnell wird deutlich: Das Problem sind überraschenderweise nicht die anderen, sondern die Hauptfigur selbst. Wie alles im Leben ist diese These eine Frage des Betrachtungswinkels. Dabei weiß der Hauptdarsteller ganz genau, wie Freundlichkeit funktioniert – leider kann er nicht über seinen Schatten springen. Damit wenigstens ein Gesprächspartner präsent ist und dem Dauernörgler zuhört, wurde die bereits verstorbene Mutter als Handpuppe nachgebaut – Mutterkomplexe? – natürlich nicht! Die Diskussionen mit ihr? Vollkommen sinnentleert und desillusioniert und für den Normalo (wie immer dieses Wort heutzutage definiert wird) kaum zu ertragen.

Die Hauptfigur wird mit viel Wortwitz, bewusster Naivität und einer hohen Intensität dargestellt. Ein Misanthrop und Einzelgänger, der mit der Gesellschaft einfach nicht klarkommen kann oder will. Egersdörfer verkörpert seinen Charakter in einer tiefsinnigen, kompromisslosen und direkten Art und Weise. Sein Zynismus ist erschlagend, der fränkische Dialekt einfach nur nice und die Darstellung des von der Gesellschaft missverstandenen und ausgegrenzten Verlierers großes Kino.

Gerne bindet Matthias Egersdörfer das Publikum mit bewusst grotesken Fragestellungen ein, die kein Mensch beantworten kann, ohne sich dabei in die Nesseln zu setzen. Dabei sind auch Beleidigungen der deftigeren Art keine Seltenheit. Immerhin: Einer der Zuhörer hielt kräftig und unnachgiebig dagegen und verwickelte Egersdörfer in ein Duell auf Eigenhöhe.  

So stellt „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ eine vergnügliche und intensive Gesellschaftskritik dar, in welcher der ein oder andere Lacher regelrecht im Halse stecken blieb.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar