Die Baumgartenstraße am westlichen Ortsrand von Dischingen ist von überschaubarer Bedeutung für die Gemeinde. Nur etwas mehr als 200 Meter lang, zweigt sie von der Dossenbergerstraße ab und mündet in den Zwinkelweg.
Ihren Namen trägt die Straße nicht etwa, weil dort früher einmal eine Obstwiese stand. Die fast unmittelbar am Werksgelände von Varta gelegene Straße verweist vielmehr auf Kasimir Baumgarten, ohne den es die Batterieherstellung in Dischingen und damit den größten örtlichen Arbeitgeber, vermutlich nie gegeben hätte. Sein Wirken auf dem Härtsfeld nahm allerdings ein jähes Ende.
Die erste Batteriefabrik entstand im Sudetenland
Baumgarten wurde am 14. Oktober 1890 in der Kleinstadt Asch am westlichen Rand des Sudetenlands geboren. Schon in jungen Jahren hatte er die Gelegenheit, im Wiener Werk der schweizerischen Firma Brown-Boveri die noch jungen Branche der Batterieherstellung kennenzulernen. Was heute vollkommen selbstverständlich ist und den Alltag der Menschen vom Hörgerät bis zum Elektroauto prägt, steckte vor mehr als hundert Jahren noch in den Kinderschuhen. Doch auch damals war die technische Möglichkeit, elektrischen Strom tragbar zu speichern, schnell sehr gefragt.
1920 machte sich der gelernte Kaufmann Baumgarten in Wildstein im benachbarten Landkreis Eger selbständig. Was zunächst als kleine Unternehmung begann, wuchs bald zu einer elektrotechnischen Fabrik heran, die mehr als 300 Menschen beschäftigte. Entsprechend groß war auch das Ansehen Baumgartens in Wildstein: Von 1925 an bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war der Unternehmer auch ehrenamtlicher Bürgermeister des Orts.
Vom Betrieb in Wildstein existieren zumindest keine öffentlich verfügbaren Fotos mehr. Im Archiv der Heidenheimer Zeitung findet sich jedoch ein Ausschnitt eines Stichs, der ausgedehnte Sheddach-Hallen und ein zweistöckiges Gebäude zeigt, das womöglich die Verwaltung der Fabrik beherbergte.
Baumgartens Firma produzierte auch für die Wehrmacht
Lieferte Baumgarten seine Batterien zunächst nur für den Inlandsmarkt, wuchs das Unternehmen rasch heran. Schon 1930 führte er im Stammwerk die Fließbandproduktion ein, pro Jahr wurden 30 Millionen Batteriezellen hergestellt, man unterhielt Handelsbeziehungen in 27 Länder. Anfang der 1930er-Jahre richtete der umtriebige Firmenchef nahe London ein weiteres Werk ein, aber auch Forschung und Entwicklung am Firmensitz wurden weiter ausgebaut. Das Labor wurde seinerzeit von Ingenieur Bruno Siller geleitet, dessen Bedeutung für das Unternehmen sogar noch wachsen sollte.
Mit dem Anschluss des Sudetenlands an Nazi-Deutschland musste sich die Batteriefabrik zwangsläufig weitgehend auf den deutschen Markt konzentrieren. Doch die Nachfrage war groß, zumal beispielsweise auch Funkgeräte der Wehrmacht mit Batterien aus Wildstein ausgestattet wurden. Sammlerstücke aus dieser Zeit lassen sich auch heute noch in einschlägigen Onlinebörsen finden. 50 Millionen Batterien pro Jahr verließen die Fließbänder, was die „Elektrotechnische Fabrik K. Baumgarten“ zur drittgrößten der Branche in Deutschland machte.
Kurz vor Kriegsende geriet dann allerdings auch das Werk unter Beschuss. In tschechischen Archiven existieren Berichte darüber, dass der Betrieb in Wildstein von mehreren Granaten getroffen wurde. Nach dem Krieg wurde Baumgarten enteignet und quasi mittellos mit seiner Familie aus Tschechien ausgewiesen.
Wie genau Baumgarten mit seiner Frau Marianne und der 1934 geborenen Tochter Marianne nach Dischingen kam, ist nicht überliefert. Sicher ist aber, dass der Unternehmer am 6. Oktober 1947 vom württembergischen Wirtschaftsministerium die „Genehmigung zur Errichtung eines Fabrikationsbetriebs zur Herstellung von galvanischen Elementen aller Art“ erhielt. Kurz darauf begann Baumgarten damit, eine neue Batteriefabrik aufzubauen. Noch 1948 genehmigte das Ministerium die Produktion von bis zu 400.000 Taschenlampenbatterien pro Monat. Die Produktion wurde in nicht mehr benötigten Räumen des zwischen Dischingen und Ballmertshofen gelegenen Sägewerks Katz & Klumpp aufgenommen, wo Baumgarten zeitweise bis zu 1400 Quadratmeter Fläche anmietete und um 1950 herum bereits rund einhundert Menschen beschäftigte. Hinzu kamen offenbar mehrere Dutzend Heimarbeiter auf dem Härtsfeld.
Gründer Baumgarten starb unerwartet im September 1951
1953 verkaufte die Gemeinde Dischingen dem Unternehmen 1,7 Hektar Fläche für den Neubau einer Batteriefabrik. Diesen Meilenstein erlebte Gründer Kasimir Baumgarten nicht mehr. Er starb unerwartet am 19. September 1951 in Immenstadt im Allgäu. In einem zwei Tage später in der HZ erschienenen Nachruf wird die „bewundernswerte Zähigkeit“ gewürdigt, mit der Baumgarten seine Fabrik in Dischingen neu aufgebaut habe. „Ein Leben rastloser Arbeit ist erfüllt“, schrieb die Familie in der Traueranzeige. In seinen wenigen Jahren auf dem Härtsfeld hatte er offenbar viele Freunde gewonnen, man erinnerte sich noch lange an seine Talente als Sänger und Cellist.
Der Familie blieb weiteres Leid nicht erspart: Kasimir Baumgartens Witwe Marianne starb am 18. Februar 1952 in Dischingen. Die damals 17-jährige Tochter Marianne wurde damit zur Alleinerbin. Sie verkaufte das Unternehmen daraufhin zum Preis von 73.000 Mark, der Käufer übernahm auch Kredite in Höhe von 167.000 Mark, die der Firma als „Flüchtlingsbetrieb“ gewährt worden waren. Kasimir Baumgartens Tochter blieb als kaufmännische Angestellte im Unternehmen. Auch ihr in der Firma mitarbeitender Onkel starb im Jahr 1952, seine Frau Anna, die Schwester von Kasimir Baumgarten, war bereits 1950 verstorben.
Die große Konstante der Fabrik blieb Ingenieur Bruno Siller, der die Entwicklung neuer Produkte vorantrieb und auch dann noch weiter in seinem Labor arbeitete, als die Elektrotechnische Fabrik Kasimir Baumgarten 1965 von Varta übernommen wurde.