Es ist der Abend des 4. März 1940. Auf das Schloss Taxis in Dischingen hat sich bereits die Dunkelheit gelegt, als sich um 20.30 Uhr ein Auto über die Baumbestände Straße nähert. Darin sitzen ein SA-Sturmbannführer und ein SS-Hauptsturmführer, beide uniformiert, zusammen mit Gaukulturwart Dr. Georg Schmückle. Die Männer steigen aus und gehen ins Schloss. Mit sich führen sie ein Schreiben von Reichsstatthalters Wilhelm Murr, das besagt, dass ihnen das Bild „Der Reiterzug der Heiligen Drei Könige“, um das Jahr 1450 vom Meister der Sterzinger Altarflügel angefertigt, ausgehändigt werden soll.
Dieses Bild befindet sich in Dischingen, weil das Schloss Taxis zu dieser Zeit als Zwischenlager für zahlreiche Gemälde der Württembergischen Staatsgalerie Stuttgart dient, welche vor der Zerstörung durch alliierte Luftangriffe geschützt werden sollen. Der Schlossverwalter hat Bedenken, lässt die Männer aber letztlich gewähren, und sie suchen sich das Bild aus der Sammlung aus.
Transport nach Brandenburg
Am nächsten Morgen trifft ein Lastwagen am Schloss ein, das Bild wird in Teppiche verpackt und dann quer durch Deutschland gefahren, genauer gesagt nach Carinhall, dem Landgut des Reichsmarschalls Hermann Göring. Denn der unterhält dort eine große Kunstsammlung, die zu einem kleinen Teil aus legalen Ankäufen, zum großen Teil aber aus Raub- und Beutekunst besteht.
Dass nun ein Werk, welches der damalige Leiter der Staatsgalerie Stuttgart, Heinz Braune, als eines der „allerkostbarsten Stücken unseres Museums“ bezeichnete, und das „in der Abteilung schwäbische Malerei weitaus den ersten Platz einnimmt“ in diese Sammlung geht, will man in Württemberg nicht einfach hinnehmen. Bereits als die ersten Gerüchte aufkommen, dass Göring am „Reiterzug“ interessiert ist, wendet sich Braune an den württembergischen Ministerpräsidenten und Kultusminister Christian Mergenthaler. Dieser schickt ein Schreiben an den preußischen Ministerpräsidenten, in welchem er eine Abgabe des Bildes ablehnt.
Streit zwischen Mergenthaler und Göring
Erfolg hat das Schreiben nicht, nur wenige Tage später wird das Bild abgeholt. Mergenthaler fühlt sich vor den Kopf gestoßen, schreibt erneut und begründet seine Ablehnung mit Verweisen auf Gesetze und Paragrafen. Doch das scheint Göring nur wenig zu interessieren. Er reagiert mit einem Brief auf Mergenthalers erstes Schreiben, weiß aber wohl bereits über die inzwischen in Württemberg entstandene Unruhe Bescheid.
Unbekümmert deutet Göring die Situation zu seinen Gunsten um: Er habe, so steht es in einem Bericht von Braune, „den ablehnenden Brief des Ministerpräsidenten fast gleichzeitig mit dem Bild selbst erhalten, und er freue sich, aus dem Empfang des Bildes schließen zu dürfen, dass der Herr Ministerpräsident sich nun doch zu einer Zustimmung zur Abgabe des Bildes entschlossen habe“. Das Bild werde in Carinhall „einen ausgezeichneten Platz erhalten“ und würde dort wahrscheinlich „bei den zahlreichen politischen Besuchern mehr für die deutsche Kunst zu werben imstande sein, als in der Stuttgarter Galerie“.
Keine Einigung erwirkt
Weiter schreibt Göring, dass er bereit wäre, der Galerie das Gemälde „Das goldene Zeitalter“ von Lucas Cranach dem Älteren als Tauschobjekt zu überlassen und einen möglichen Mehrwert des „Reiterzuges“ in bar zu erstatten.
Gegen diesen Vorschlag leistet Mergenthaler in seinem Antwortbrief entschieden Widerstand und betont noch einmal die Bedeutung des Gemäldes, das von einem Altar des Frauenklosters Heiligkreuztal stamme und somit eng mit Württemberg verbunden sei. Doch Erfolg hat er damit nicht: Keine weitere Korrespondenz zwischen den beiden Männern ist erhalten. Auch zu einem Tausch von Gemälden kommt es nie.
Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kommt der „Reitzug“ wieder nach Württemberg zurück, diesmal jedoch nicht nach Dischingen, sondern nach Stuttgart. In der dortigen Staatsgalerie wird das Gemälde auch heute noch ausgestellt.
Ulrich Moeferdt auf Spurensuche
Die Anregung für diesen Text kam vom Dr. Ulrich Moeferdt aus Giengen, der sich um das Heimatmuseum in Dischingen kümmert. Er fand die relevanten Informationen im Buch „Zwischen regionaler Selbstbehauptung und 'Verreichlichung'“ von Christiane Kuller, Joachim Scholtyseck und Edgar Wolfrum (Hrsg.); erschienen 2024 im Thorbecke-Verlag. Der Bericht eines Restaurators, in dem der Abtransport des „Reiterzuges“ aus Dischingen beschrieben wird, wurde ihm in Kopie durch das Stuttgarter Staatsarchiv zur Verfügung gestellt.